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FC St. Pauli

Fast schon Slapstick

 

Erst Sandhausen, dann Fürth. Schon in den vergangenen Wochen ist der FC St. Pauli gegen Mannschaften angetreten, die in der Tabelle ähnlich schlecht platziert waren wie die Kiezkicker. Und hat viel dafür getan, dass die Gegner zu neuem Selbstvertrauen gelangten. So sehr in die Rolle des Aufbaugegners gefügt wie am Wochenende gegen TSV 1860 München hat sich das Team dann aber doch noch nicht.

Die 2:1 Niederlage in der bayerischen Hauptstadt war vollkommen unverdient. Gegen eine offensichtlich schlappe Heimmannschaft haben sich die Pauli-Spieler mal wieder selbst besiegt. Umstände, die mir dieses Resultat als Fan sehr schwer verdaulich machen.

Ich habe die Mannschaft diesmal nicht zum Auswärtsspiel begleitet. Das Spiel zwischen dem Tabellenletzten (FC St. Pauli) und dem Vorletzten (1860 München) guckte ich in der Hamburger Botschaft im Schanzenviertel. Anna, meine treue, stets meckernde Begleiterin, kam ein paar Minuten zu spät. Sie schimpfte noch über die frühe Anstoßzeit von 13 Uhr, als Lennart Thy schon nach butterweicher Flanke von Marc Rzatkowski ein wenig zu hoch am rechten Lattenkreuz vorbei köpfte (2. Minute). St. Pauli war in allen Belangen besser – Raumaufteilung, Passsicherheit, Zweikampfverhalten. Ein weiterer Beleg, dass die Handschrift des Trainers Ewald Lienen immer deutlicher lesbar wird. Allein: Auf dem Platz und auch bei uns vor den Fernsehbildern schien am Samstagmittag kaum jemand daran zu glauben, dass Feldüberlegenheit auch Siege produziert. Das haben uns die vergangenen Wochen gelehrt.

Die 10. Minute: Unser Verteidiger Andrej Statsev entscheidet sich falsch, unterläuft einen langen Ball auf den Löwen-Spieler Jannik Bandowski, der dann ebenfalls butterweich in den Strafraum flankt. Dort stehen zwar lauter St. Paulianer, aber Torhüter Himmelmann und Kapitän Gonther spielen „Nimm du ihn, ich hab ihn sicher“. Die Folge: Sören Gonther grätscht so unglücklich in den Ball, dass er ihn ins eigene Tor drückt. 1:0 für die Löwen, die in der gesamten ersten Halbzeit keinen eigenen Torschuss abgeben.

Die St. Pauli-Offensive spielt zeitweise beinahe mühelos durch die Reihen der Sechziger, so auch in der 52. Minute, als Thy einen Musterangriff abschließt: an den Pfosten. „Warum kann denn nicht mal einer von unseren Bällen vom Innenpfosten ins Tor gehen“, beschwert sich Anna neben mir. Zurecht, finde ich, denn an diesen Anblick kann auch ich mich nicht erinnern. St. Pauli spielt weiter, fast stoisch rollen die Angriffe auf die desolat spielenden Münchner zu. Thy entzückt mich mit einem feinen Trick an der rechten Spielfeldgrenze, als er den Ball mit Drehung und seiner Schuhsohle mitnimmt. Ob er von da aus flankt, entzieht sich meiner immer selektiver werdenden Wahrnehmung.

Das 2:0 der Heimmannschaft fällt dann so, wie es im Lehrbuch für gute Aufbaugegner geschrieben steht: mitten in die Drangphase des FC St. Pauli hinein. Alles liegt in der Luft, sogar ein Hauch von Frühling, aber nicht das zweite Tor für 1860, als Dennis Daube durch den eigenen Strafraum irrend den gerade eingewechselten Gegenspieler Marius Wolf übersieht. Dieser köpft den Ball kraftlos aber gezielt ins Netz. Der erste ernsthafte Torabschluss der Weiß-Blauen bis dahin.

Es ist der enormen Moral der St. Paulianer geschuldet, dass das Spiel noch einmal spannend wird. Stürmer Christopher Nöthe steht goldrichtig als Ante Budimir, der auch in München mal wieder aufopfernd mannschaftsdienlich spielt, eine Flanke mit dem Kopf an den langen Pfosten verlängert. Dort, direkt vor den Füßen Nöthes, bleibt der Ball auch erst einmal liegen. Gebannt starren Gegenspieler, Zuschauer und St. Paulianer in der 77. Minute dieses merkwürdigen Spiels abwechselnd auf den Ball und auf Nöthe. Der scheint noch zu überlegen, was er mit dieser Gelegenheit anfangen soll und entscheidet sich vollkommen unstpaulianisch dafür, den Ball einfach und kontrolliert unter die Latte zu hämmern. TOR!

Es passt zur Verfassung des FC St. Pauli, dass alles Anrennen am Ende nichts mehr hilft. Daube ist der letzte einer ganzen Reihe Boys in Brown, der in der 89. Minute den Ausgleich verdaddelt: Frei angespielt entscheidet er sich vor dem Tor der Sechziger für Innenrist statt Vollspann.

Damit wird Spiel gegen Erzgebirge Aue am kommenden Wochenende zum Endspiel. Nach langem Grübeln bin ich mir sicher, dass wir nur erfolgreich sein werden, wenn wir vergessen, was in München passiert ist. Nur dann kann der Verleib in der zweiten Bundesliga gelingen. Die Mannschaft muss über dieses Spiel, das zeitweise einer Slapstick-Komödie glich, herzhaft lachen. Im Ernst: Etwas anders als Lachen fällt mir gerade nicht ein.

Annas Lieblingsspieler in München war Chris Nöthe. Dessen Eleganz wird ihm ja oft als Fahrigkeit gedeutet. „Aber immerhin trifft er“, sagt Anna. Und damit hat sie recht.