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FC St. Pauli

Doch kein Spitzenteam

 

Bollwerk plus Nadelstiche klappt, Hurrafußball nur im Traum: Der FC St. Pauli beweist gegen den FSV Frankfurt, dass ihm die Favoritenrolle noch nicht liegt.

Ich gebe zu, ich schimpfte wie ein Rohrspatz, als ich im Vorfeld des 22. Spieltags nur den kleinsten Unkenruf vernahm. Fred, der neben mir auf der Gegengeraden stand, malte vor dem Spiel schwarze Flocken an den Himmel: „Gegen gute Gegner gewinnen wir, gegen schlechte verlieren wir.“ Und ich wurde fuchsteufelswild. Obwohl ich wusste, dass wir gegen den FSV Frankfurt fast immer Punkte einbüßen, wollte ich an diesem Freitagabend nichts hören, was miesepetrig, pessimistisch klang. Ich wollte die nächsten drei Punkte. Ich sah nicht ein, warum wir nach einem Erfolg gegen Leipzig gegen Frankfurt verlieren sollten. Die Möglichkeit einer Niederlage bestand nicht. Nicht in meinem Kopf.

Fred unkte noch ein paar Mal. Christopher Buchtmann und Marc Hornschuh seien nicht fit, sagte er. Und mit der Favoritenrolle kämen wir nicht zurecht. Doch in der 10. Minute wähnte ich mich mit meinem Optimismus auf der sicheren Seite und hoffte, Freds amphibisches Gemecker möge endlich verstummen: Marc Rzatkowski schoss uns im Gerd-Müller-Gedenk-Stil aus der Drehung heraus 1:0 in Führung. Ich puffte Fred in die Seite.

Er aber blieb dabei. Er trank und unkte weiter – und dann ging am Ende tatsächlich alles schief. So sehr, dass ich das pyrotechnische Spektakel, das zu Beginn des Spiels außerhalb des Stadions, hinter der Südkurve, in den Himmel geschossen wurde, als schönste Wahrnehmung des Abends in Erinnerung behalten sollte.

Denn es passierte, wovor Coach Ewald Lienen die ganze Woche über gewarnt hatte. Eine Minute nach unserem Tor glich der FSV aus, drehte noch vor der Pause das Spiel, und ein Eigentor von Lasse Sobiech besiegelte eine verdiente Niederlage. Unser in den letzten Spielen sicheres defensives Zentrum mit Sobiech und Ziereis in der Innenverteidigung und Nehrig und Rzatkowski als Doppelsechs war mindestens 80 Minuten lang ein nervöser Hühnerhaufen, der sich verzweifelt gegen die Überzahl zu wehren versuchte, die der Gegner in Fließbandarbeit fast permanent herstellte.

Hinzu kam, dass die Stürmer im leeren Raum agierten – keiner, der den Ball zu ihnen spielte. Unsere Art-Direktoren Buchtmann und Alushi vermittelten nie den Eindruck, sie hätten eine Idee, wie Frankfurts Defensive an diesem tristen Februarabend ausgehebelt werden könnte.

Der ernüchterndste Moment für jeden aufstiegsgläubigen Zeitgenossen am Millerntor kam, als Anke, Leidensgenossin auf der Gegengeraden, nach dem Spiel etwas aussprach, was ich vor dem Spiel nie und nimmer hätte hören wollen. Nun musste ich ihr recht geben. „Wie letzte Saison“, sagte sie. Niemand widersprach. Ein Spiel wie aus der vergangenen Saison – als wir dem Abstieg erst am 34. Spieltag entgingen.

Desillusioniert stelle ich fest, dass Ewald Lienen viel bewirkt hat, aber der Mannschaft eine Sache bislang doch nicht beibringen konnte: Wie man gegen biedere Mannschaften wie Frankfurt Spiele gestaltet. In solchen Situation haben wir ein Problem. Die Sicherheit bröckelt. Eine Spitzenmannschaft wäre eine Mannschaft, die im selben Spiel sowohl angreifen als auch sicher verteidigen kann. Bollwerk plus Nadelstiche – haben wir drauf. Erfolgreichen Hurrafußball schreiben wir auf den Wunschzettel. Aber wir brauchen Geduld. Sehr lange.