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FC St. Pauli

Laienspieltheater am Millerntor

 

Der FC St. Pauli gewinnt 2:0 gegen Duisburg. So richtig freuen kann sich unser Autor aber nicht. Dafür hat sich ein Mann zu sehr aufgespielt: der Schiedsrichter.

Das Spiel gegen den MSV Duisburg war merkwürdig anzusehen. Duisburg verteidigte kompakt, der FC St. Pauli war überlegen, konnte aber kaum klare Torchancen erspielen. Mit zunehmender Dauer glitt dem Schiedsrichter René Rohde aus Rostock das Spiel so sehr aus den Händen, dass es eher einem Schultheaterstück glich als einer Zweitligapartie.

Es gibt Schiedsrichter, die versuchen einem Spiel Format zu verleihen. Sie pfeifen nach einem inneren Plan, Sportreporter nennen das gerne eine Linie. Und es gibt Schiedsrichter, die dem Spiel ihren Stempel aufdrücken wollen, sie ziehen es an sich und dirigieren es mit strenger Mimik und theatralischen Bewegungen. Manuel Gräfe beispielsweise ist so ein Schiri. Er scheint es zu genießen, wenn er alle um sich herum gegen sich aufbringt. Und dann gibt es noch Schiedsrichter, die selbst daran scheitern. Sie beeinflussen ein Spiel aus Mangel an Erfahrung so, dass es zu einem schlechten Schauspiel wird. So ein Spiel habe ich gestern, am Montagabend, am Millerntor gesehen.

Die Boys in Brown begannen druckvoll, konnten sich gegen sehr defensiv eingestellte Duisburger einige gute Szenen erspielen. Christopher Buchtmann und unser Millerntor-Debütant Jeremy Dudziak hatten vage Chancen, ein Tor zu erzielen, schlossen aber nicht konsequent genug ab. Mit zunehmender Spieldauer ergriff die Spieler auf dem Platz dann eine gewisse Verwirrung. Schiedsrichter Rohde pfiff lauter normale Zweikämpfe ab, immer zugunsten des Spielers mit akuter Fallsucht. Das kriegten zuerst die Duisburger spitz, die nachfolgend dahinsanken, als wäre sie erschossen worden. Irgendwann lag sogar einer von ihnen weitab vom Spielgeschehen neben den Auswechselspielern und wand sich am Boden. Anna, die wieder neben mir auf der Gegengeraden stand, fing an zu lachen, so abstrus wirkte diese Szene.

Seit wann ist ein Pogo-Tanz elfmeterwürdig?

Und Schiri Rohde wurde immer vogelwilder. Sein Linienrichter zeigte ein Handspiel eines Duisburgers an. Auf sein Zeichen mit der Flagge folgte aber kein Pfiff. Der Linienrichter fuchtelte immer wilder mit seinem Hinweisinstrument, Rohde aber ließ weiterspielen. Daraus ergab sich eine gefährliche Situation für St. Pauli. Glücklicherweise schafften es die Spieler des MSV nicht, aus aussichtsreicher Position ein Tor zu schießen. Auch später nicht. Der quirlige Andreas Wiegel scheiterte gleich mehrmals, in der ersten Halbzeit rettet für St. Pauli der Pfosten.

Wir sahen ein zerfahrenes Spiel, das keinem Drehbuch mehr gehorchen wollte. „Die schießen hier heute kein Tor mehr“, sagte Anna neben mir voraus. Doch da hatte sie die Rechnung ohne Schiri Rohde gemacht.

In der 70. Minute nahm der Plot dieser Begegnung seine entscheidende Wendung: St.-Pauli-Stürmer Lennart Thy und Duisburgs Verteidiger Dustin Bomheuer stiegen zum Kopfball hoch, um einen der weit geschlagenen Bälle zu erreichen. Wie bei einem Pogo-Tanz hüpften sie einander an, einmal und dann ein weiteres Mal. Beim zweiten Aufeinandertreffen schubste Bomheuer den Hamburger Angreifer über die linke Ecke des Duisburger Strafraums. Es folgten ein Pfiff und der Höhepunkt an Verwirrung. „Abstoß?“, fragte Anna und wurde dann überrascht: Es gab Elfmeter für den FC St. Pauli. Das ganze Stadion wunderte sich. Duisburgs Coach Gino Lettieri verdiente sich unsere Sympathien, als er auf die Gegengerade geschickt wurde, weil er zu sehr meckerte. Den fälligen Strafstoß verwandelte Innenverteidiger Lasse Sobiech dann fulminant.

Es ist bezeichnend, dass sich ausgerechnet die beiden spät eingewechselten St. Paulianer Sebastian Maier und Fafá Picault zum 2:0 kombinierten. Sie waren wohl noch nicht angesteckt vom verwirrenden Spiel, das aufgeführt wurde. In einem sehenswerten Zusammenwirken über die linke Seite setzten sich beide gegen aufgerückte Duisburger durch, Picault zog nach innen und passte dann butterweich auf Maier, der sehenswert und unbedrängt aus 19 Metern einschoss.

Als der Vorhang fiel, zogen sich die pfeifenden Wanderdarsteller in gelben Jerseys schnell in die Kabine zurück – Applaus gab es keinen. Anna und ich standen noch eine Weile im Rang und wunderten uns. Einen Sieger hatte dieses Spiel nicht verdient, dafür hatte es Herr Rohde aus Rostock einfach zu sehr verschmiert.


„Wenn es ginge“, sagt Anna mir auf dem Weg nach Hause, „dann würde ich dem Mann mit der Pfeife eine glatte Sieben geben.“