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St. Pauli Gegengerade

Wohin mit 25 Verteidigern?

 

Während der Nullnummer des FC St. Pauli gegen Union Berlin konnten alle im Stadion sehen, wo die Defizite der Mannschaft liegen. Nur der Sportchef hat nicht aufgepasst.

„Heute morgen ist mir die Zeitung aus der Hand gefallen“, sagt Carlos. Es ist Montag. Ich wollte die personifizierte Meckerecke nur anrufen, um zu fragen, ob sich seine Laune seit Freitagabend gebessert habe. Das hat sie nicht. Im Gegenteil. Ich muss den Telefonhörer einen halben Meter vom Kopf weghalten, um mein Trommelfell nicht zu gefährden. Mit 143 Dezibel kommentiert Carlos, was er eben in der Mopo gelesen hat.

Am Freitag hätte ich mir nicht vorstellen können, dass zweieinhalb Tage später St. Pauli-Neuigkeiten meinen Gegengeraden-Partner noch heftiger erzürnen könnten als das Abendspiel gegen die Unionisten aus Berlin. Während zumindest Trainer Ewald Lienen höchsten Einsatz bot und zeitweise wie Rumpelstilzchen an der Seitenlinie herumtobte, führten die Akteure auf dem Platz eine echte Nullnummer auf, die logischerweise zum entsprechenden 0:0-Resultat führte. „Wir stehen“, kommentierte Carlos, „in der 2. Liga auf dem 4. Platz. Wir hätten theoretisch die Möglichkeit, anzugreifen. Und wir tun es nicht.“

Er hatte gehofft, sich an einer schönen Ration inspirierten Fußballs zu erfreuen. Stattdessen generierte der Anblick des Geschehens in ihm nur die Hoffnung, Lienen möge auf dem Bänklein noch „einen Spieler finden, der nicht schon an seinen nächsten Arbeitgeber denkt“.

Es war ein grauenvoll ereignisarmes Spiel, das wir uns ansehen mussten. Mit dem Verrauchen der Aufstiegshoffnungen scheinen sämtliche Angriffsanstrengungen verflogen zu sein. Erst heute Montag keimte in mir wieder die Hoffnung, dass irgendwann bessere Fußballzeiten anbrechen könnten. Sie keimte nicht lange. Der Keimprozess ist mit Carlos Gebrüll umgehend zum Stillstand gekommen. Er brüllte mir – als ob das Telefon noch nicht erfunden sei – von seinem Altonaer Büro in Richtung Helmut-Schmidt-Haus in der Innenstadt zu, was er gerade eben gelesen hatte. Nämlich, dass der Sportchef die Verpflichtung eines neuen Spielers melde … eines Verteidigers!

Hintenrum statt vornerum

Seit Monaten erkennt nicht nur Carlos, sondern die gesamte Belegschaft der Gegengeraden genau, wo die Baustelle der Mannschaft liegt: im Sturm. Und dann dies. Vegar Eggen Hedenstad heißt er. Ein Norweger. Nichts gegen Norweger! Aber Hedenstad – der laut Sportchef Thomas Meggle „menschlich sehr gut ans Millerntor passt“ – ist einer für hintenrum statt vornerum. „Ich frage mich“, schnauzt Carlos ins Telefon, „ob die Verpflichtung des 25. Verteidigers uns weiterhilft.“

Ich versuche, darauf eine Antwort zu geben. Es gelingt mir nicht. Ich denke daran, dass wir mit 15 Zu-null-Spielen längst Ligaspitze sind. Dass die Defensivplätze doppelt und dreifach vergeben sind. Dass auf der Gegengeraden momentan keiner weiß, wer nächstes Jahr die Tore schießen soll.

„Wir tun so, als ob wir das Armenhaus der Liga wären“, sagt Carlos. Mittlerweile ist seine Wut triefender Enttäuschung gewichen. „Ich möchte einfach mal sehen, dass sich der Club Mühe gibt, einen guten Kader zusammenzustellen. Einen mit Perspektive.“

Carlos möchte eine Mannschaft, die mehr Tore schießt als 1,2 pro Spiel. Denn 1,2 Tore pro Spiel werden auch 2017 nicht zum Aufstieg reichen. Schon gar nicht, wenn der Club statt Geld auszugeben sich weiter aufs Einnehmen konzentriert. Und Torhüter Himmelmann verscherbelt. Ich ahne Schlimmstes.