Heute jährt sich der Tag des überraschenden Derbysieges des FC St. Pauli beim HSV zum vierten Mal. Null Tore für die Rothosen, eines für die Braun-Weißen, so lautete das Ergebnis. Das Ergebnis eines Spiels in der ersten deutschen Fußballliga, wohlgemerkt.
Seither ist viel passiert. Die Kiezkicker sind unmittelbar nach dem Februar 2011 abgerutscht. Heute Abend treten sie als Tabellenletzter der zweiten Bundesliga gegen Greuther Fürth an. Es kommen wehmütige Gefühle in mir auf, wenn ich an den Derbysieg denke. An die Helden von damals, aber auch an einen HSV, der damals einen für uns passablen Antagonisten darstellte – und nicht eine Mannschaft, die 0:8 gegen den FC Bayern verliert. Trotzdem: Es lohnt sich, sich diesen Tag wieder zu vergegenwärtigen. Vielleicht gibt uns das Kraft für heute Abend, für den Umschwung.
Der 16.02.2011 war ein nasskalter Tag. Es hat aber nicht geregnet, meine ich mich zu erinnern, als ich mich mit meinem Karten-Sponsor auf den Weg nach Mordor machte – so umschreiben wir St. Paulianer die dunkle waldige Gegend, die an das Land des Bösen in Herr der Ringe erinnert und in der der HSV seine Heimspiele austrägt. Zuerst wollte ich ja gar nicht dorthin, wollte das Spiel lieber am Millerntor erleben, beim Public Viewing im eigenen Stadion. Im Nachhinein bin ich froh, meine Ängste überwunden zu haben und doch dabei gewesen zu sein.
Die Stimmung vor dem Stadion habe ich als unerwartet entspannt empfunden. Zwei Wasserwerfer dampften in einer Seitenstraße, St. Paulianer und HSVler trotteten zu ihren Aufgängen. Spannung lag in der Luft, Derbystimmung eben. Na klar, auch ich habe damit gerechnet, dass wir verlieren – und so sah es dann ja auch die ganze Zeit aus. Eigentlich bis zur letzten Minute.
Noch kurz vor Betreten der Dingens-Arena rief mich mein Hausarzt an, eine Raute, und wollte mich ein wenig aufziehen und unbedingt wetten: „Ihr verliert heute 4:0. Wetten?“ „Gut“, sagte ich, „um einen Kasten Bier, nur kein Astra bitte.“ Ich dachte kurz nach und entschied mich für den Tipp, der im besten Falle zu erwarten war: “0:1″, antwortete ich – er lachte. Etwa hundert Minuten später begann mein Gesicht sich das erste Mal zu verkrampfen: Ich grinste so stark, dass es spannte. Tagelang hielt es an.
Heute kommen die Eindrücke von damals zurück: Von Benedikt Pliquetts weißen Beinen, die er immer magisch dorthin hielt, wo sie gebraucht wurden. Stanis strubbelige, graue Mütze. Die Ecke, Bolls Fuß, das Tor von Gerald Asamoah, und die gleichzeitige Explosion des St. Pauli Fan-Blocks. Mein Herumspringen in der Westkurve, die noch wohlwollenden Gesichter der HSVler, die sicher nur an einen kosmetischen Kratzer glaubten. Das Anrennen ihres Teams und das beherzte Verteidigen unserer Jungs. Dann, endlich: der Abpfiff.
Danach erinnere ich nur noch Augenblicke in loser Reihenfolge: Pliquetts Bogenschuss, den er mit seinen Händen andeutet, als er an Mladen Petrić vorbei läuft – eigentlich die Jubelgeste des HSV-Spielers. Holger Stanislawski, der wie Rumpelstielzchen über den Rasen hüpft.
Das Bild, das sich mir am tiefsten eingeprägt hat: Die verwaiste Nordkurve mit all dem blau-schwarzen Plastikmüll. Diese leere Tribüne mit den Überbleibseln einer industriellen Choreografie, die bleibt mir im Gedächtnis – und lässt mich grinsen. Immer wieder. Bis heute. Euch allen einen fröhlichen Derbysiegertag!