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Elvis Costello

Große Freiheit, geadelt von Elvis

 

Er war mal der Hornbrillen-Nerd mit Punk-Attitüde. Doch eigentlich spielt Elvis Costello fantastischen Powerpop. Ebenso hinreißend war jetzt sein Auftritt in Hamburg.

Elvis Costello gehört nun nicht mehr zu den Jüngsten, sechzig ist er gerade geworden. Doch das hielt ihn nicht davon ab, in Hamburg fast zweieinhalb unvergessliche Stunden abzuliefern. Dafür ließ er sich in der ansehnlich gefüllten Großen Freiheit von den so jungen wie mannequingleichen Lovell-Schwestern Rebecca (23) und Megan (25) flankieren.

Die beiden langhaarigen Südstaaten-Schönheiten spielten in ihrer Jugendzeit als Lovell Sisters Bluegrass und Folk, seit 2010 in der Band Larkin Poe Blues- und Americana-beeinflussten Mainstream-Poprock, den Shootingstars von Haim nicht unähnlich. Als Support-Act mit makellosem Gesang und Gitarrenspiel (verzerrte Lapsteel à la David Lindley) hoffte man insgeheim, sie würden noch für eine von Elvis Costellos Zugaben auf die Bühne zurückkehren.

Elvis Costello heute (c) dpa

Dieser Wunsch sollte übererfüllt werden, alles tipptopp eingeprobt, man ist vor einigen Tagen in der schwedischen Studentenstadt Uppsala schon einmal gemeinsam aufgetreten. Der sensationelle Backup-Gesang von Rebecca Lovell und die schneidenden, blitzsauberen Slide-Einsätze von Megan Lovell bereicherten für mindestens sieben Zugaben (von circa 15!) Stücke wie Brillant MistakeA Good Year For The Roses, das brandneue Lost On The River (Vertonung eines unveröffentlichten Dylan-Textes), und erfreulicherweise auch Blame It On Cain – der Song stammt von der überragenden ersten LP My Aim Is True von 1977.

My Aim Is True wurde seinerzeit eingespielt mit der in England gestrandeten amerikanischen Westcoast- und Countryrock-Band Clover, aus der später Huey Lewis & The News wurde. Hätte man das gewusst – man hätte es keinem Punk- oder New-Wave-Fan erzählen dürfen. Die Gruppe war eigentlich viel zu gut für den Zeitgeist von 1977 („glatt“ nannte man das damals), vor allem für eine Platte auf dem Londoner Underground-Label „Stiff“. Genau das macht den Reiz aus, gepaart mit der Punk-Attitüde des 22-jährigen Hornbrillen-Nerds Costello entstand eine der besten Powerpop-Platten aller Zeiten.

Neben Uptempo-Hits wie (The Angels Wanna Wear My) Red Shoes, der das Konzert eröffnet, gehört auch die unsterbliche Ballade Alison dazu. Er spielt sie am Ende des regulären Sets unverstärkt, ohne Mikrofon, einige Zuschauern singen laut die Zeilen mit, die sie kennen („I know this world is killing you“/ „Well, I see you’ve got a husband now“) – man wird es nicht vergessen.

Einen ähnlichen Kloß im Hals verursacht Everyday I Write The Book in der gezupften Slow-Version, ziemlich magisch. Die Liste ist lang, er spielt ClublandVeronica und Oliver’s Army mit wechselnden akustischen und halbakustischen Gitarren, Watching The Detectives in einer bizarren, feedbackreichen Version zu einem live gesampelten Riff.

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Elvis Costello, 1977 © Keystone/Getty Images

Im allerletzten Zugabenblock kommt schließlich die elektrische Fender Jazzmaster vom My Aim Is True-Cover zum Einsatz, nach der allerersten Single Less Than Zero wird damit ein Publikumsfavorit, das flehende I Want You von 1986, per Rückkopplung zerlegt – ganz aufgearbeitet ist die zerbrochene Liebe zu seiner Ex-Frau Cait O’Riordan (The Pogues) möglicherweise noch nicht.  Inzwischen führt er mit Diana Krall und den Zwillingssöhnen ein offenbar ganz fröhliches Künstlerleben in New York. Davon wird ebenso blumig berichtet wie von seiner Kindheit in London und der Jugend in Birkenhead bei Liverpool.

Er ist sensationell bei Stimme – unglaublich, dass er bei dem Druck auf die Stimmbänder nicht nach drei Stücken heiser ist – und blendend aufgelegt. Auch seine roten, spitzen Halbschuhe werden zum Thema, er hat sie offenbar erst nachmittags auf der Reeperbahn bei Schuh Messmer entdeckt, für Stiefelettenliebhaber seit jeher eine Institution. Dunkler Anzug mit Weste und ein (nanu!) schicker, heller Pflanzerhut, möglicherweise von Borsalino, den er in verschiedene kecke Positionen rückt, mal Elder Statesman, mal Filou.

Elvis Costello steht das alles, schließlich ist er ein Man Out Of Time. Dieses schöne Stück von Imperial Bedroom (1982) fehlte, er spielte es aber zuletzt 2012 während der herrlichen Rockrevue mit seiner aktuellen Begleitband The Imposters im CCH – eine Spielstätte, über die er sich seinerzeit angemessen verächtlich äußerte. Die Große Freiheit aber, eine der schönsten Bühnen Deutschlands, wurde durch seinen Besuch geadelt.