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Europa- und Bezirkswahlen

Hamburg wird demokratischer

 

Die Ergebnisse der Europa- und Bezirkswahlen sind für die Hamburger Großparteien SPD und CDU ernüchternd. Der Wähler wollte offenbar eine größere Parteienvielfalt. Das könnte ein gutes Zeichen für die Bürgerschaftswahlen im Februar sein.

Natürlich versucht man jetzt trotzdem, als Siegerin dazustehen: „Die SPD ist und bleibt die Hamburg-Partei“, schreiben die Sozialdemokraten in einer Pressemitteilung. Zuversicht klingt anders. Das Ergebnis der Bezirks- und Europawahlen vom vergangenen Wochenende ist nämlich für die großen Hamburger Parteien vor allem eins: ernüchternd, ja geradezu verwirrend. Während die SPD in den Europawahlen zulegen konnte, hat sie in den Bezirkswahlen durchschnittlich um die 10 Prozent an Wählerinnen und Wählern verloren. Die absoluten Mehrheiten der SPD in Bergedorf und Harburg sind Geschichte. Man wird auch dort koalieren müssen.

Weitaus schlimmer aber sieht es für die CDU aus, sie kommt nicht wie erhofft vom Fleck. In der Woche vor der Wahl hatte Dietrich Wersich, CDU-Fraktionschef und wahrscheinlicher Gegenkandidat des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz, in der ZEIT gesagt: „Wir wollen neue Mehrheiten in den Bezirksversammlungen, Mehrheiten zu unseren Gunsten.“ Man rechnete intern mit einem durchschnittlichen Wähleranteil in den sieben Bezirken von mindestens 27 Prozent, es wurden bloß 24,7. Und der Kandidat fürs Europaparlament muss zu Hhause bleiben. Das ist wahrlich kein Fanal für die Bürgerschaftswahl im Februar nächsten Jahres.

Die CDU kommt nicht vom Fleck

Gewonnen haben die kleinen Parteien, die Grünen wurden in Eimsbüttel mit 23,1 Prozent gar zur zweitstärksten Kraft hinter der SPD und vor der CDU. Und die Linke hat sich von sieben Prozent im Jahre 2011 auf durchschnittlich 10,2 Prozent gesteigert. Auch die europakritische Alternative für Deutschland (AfD) hält mit 4,5 Prozent in allen Bezirksversammlungen Einzug, man hatte da übrigens mehr erwartet.

Das ist die gute Nachricht: Die Wählerinnen und Wähler haben die Parteienvielfalt Hamburgs gestärkt, man könnte gar sagen: Sie haben die Bezirke demokratisiert. Jetzt werden die verschiedenen Interessenlagen besser abgebildet, und die SPD wird gezwungen, auch andere Stimmen wahrzunehmen. Das könnte ein Vorbild für die Bürgerschaftswahlen sein, zeigt die Opposition im Rathaus doch Ermüdungs-, um nicht zu sagen: Frustrationserscheinungen angesichts des allein regierenden Bürgermeisters und seiner Partei. Die SPD kann es sich leisten, für die anderen Parteien oft nur noch ein müdes Lächeln übrig zu haben. Gut ist das nicht.

Allerdings haben sich nur 41 Prozent der 1,4 Millionen wahlberechtigten Hamburger bemüht, ihre Unterlagen auszufüllen, vor drei Jahren, als die Bezirkswahlen zeitgleich mit den Bürgerschaftswahlen stattfanden, waren es noch 54 Prozent. Man mag das beklagen, sollte aber nicht, wie es der Fraktionschef der SPD tut, gleich das neue Wahlrecht infrage stellen, weil das „Kumulieren und Panaschieren umso schwieriger ist, je weniger man die Kandidaten kennt“. Damit zweifelt man nicht nur an der Demokratiebefähigung der Hamburger, sondern man schießt sich gleich selbst ins Knie. Wenn es den Parteien nicht gelingt, die Bürger für ihre Kandidaten zu begeistern, dann kann doch wohl nicht der Bürger daran schuld sein.