Der amerikanische Singer-Songwriter Jackson Browne spielte auf der Freilichtbühne im Hamburger Stadtpark. Eine Show zwischen erquickendem Westcoast-Rock und müder Politagitation
Gleich nach dem ersten Stück The Barricades Of Heaven stellt Jackson Browne klar: Die Ordner vor der Bühne mögen sich bitte dezent zurückziehen, bei seinen Konzerten bräuchte man sowas nicht. Bravo, Beifall. Browne steht für kalifornisches peaceful easy feeling, das hatte sich in Sicherheitspersonalkreisen wohl noch nicht herumgesprochen.
Der Sound der großen Band an diesem Sommerabend ist makellos, für ein Open-Air-Konzert sensationell. Alles wäre technisch ausgeklügelt, erläutert Browne. Dass ihm zu jedem (jedem!) Stück eine neue Gitarre angereicht werde, wäre dementsprechend nicht als kapriziös zu bewerten. „Obwohl“, sinniert er, „möglicherweise doch etwas kapriziös.“ Er ist gut gelaunt, gut bei Stimme (nur die hohen Lagen kratzen leicht) – und in Erzähllaune.
Umständlich, wortreich und inhaltsarm berichtet Jackson Browne beispielsweise von Charity-Konzerten bei namhaften Filmproduzenten. Formelhafte und müde vorgetragene Politagitation inklusive Umweltaktivismus (Verschmutzung der Weltmeere!) schürt das dringende Bedürfnis, im Stadtpark-Rund nach einem Kaffeestand zu suchen. Von weiter hinten fällt das veränderte Gesicht des Stars kaum auf. Über das mutmaßlich 20.000 Dollar teure Facelifting macht man sich in Blogs lustig, und tatsächlich haben die Züge etwas Hartes, Mickey-Rourke-haftes. Wenn es jemand nicht nötig gehabt hätte, dann der ewige Sonnyboy Jackson Browne. In Würde altern, grauhaarig werden, er hätte es gerne vormachen dürfen.
Dösen, Abhängen und Träumen, aber anders – das assoziiert man zweifellos mit dem 66-jährigen gebürtigen Heidelberger. Schon seine ersten beiden Alben Jackson Browne (1972) und For Everyman (1973) zeigen ihn auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Neben Carole King, Randy Newman, James Taylor und Joni Mitchell etablierte sich der blendend aussehende Sänger als Star der neuen Befindlichkeits-Singer-Songwriter-Szene aus Los Angeles.
Browne war der Songpoet, der die Frauen versteht. Es herrschten freilich noch andere, unaufgeklärtere Zeiten: Im Song Ready Or Not rühmte er sich 1973, seiner schwangeren Freundin eine Waschmaschine kaufen zu wollen. Sie fand es nicht witzig. Auch das dritte Album Late For The Sky von 1974 gilt vielen als bedeutendes Werk, es schwelgt in Schwermut und Kokain-Depression. Fountain Of Sorrow heißt bezeichnenderweise eines der zentralen Stücke, zur Freude der Fans wird es als letztes Lied vor der Pause gespielt.
Schon vor 25 Jahren fand Browne es befremdlich, wenn man sich ausführlich nach dieser kreativen Hochzeit erkundigte. Kein Wunder und zu Recht: Jackson Browne versteht sich als stattfindender Künstler, er veröffentlicht immer noch und ziemlich erfolgreich Platten, wenn auch nicht mehr im Jahresrhythmus. Vom Album Lives In The Balance (1986) an hat sich der Tenor geändert, er hat seither den Drang, die prekäre Weltlage zu benennen und zur Veränderung aufzufordern.
Standing In The Breach heißt dementsprechend das neue Album, mit der Doppelbedeutung „In der Schussline stehen“ und „In die Bresche springen“, es wird ausgiebig vorgestellt. Ein Song wird den Opfern des Anschlags von Charleston in South Carolina gewidmet. Oder lieber auch gleich allen anderen Opfern bei Massakern auf der ganzen Welt. Na bitte, erledigt. Betretener Anstandsbeifall. Wenn der englische Leadgitarrist Shane Fontayne bei Which Side die Saiten jaulen lässt, wird es platt und insgesamt unangenehm. Dampfender Bluesrock, gepaart mit dem Schlachtruf „Auf wessen Seite stehst Du?“ – schwierig.
Mehr Sentiment erzielt These Days, die oft gecoverte Melancholie-Hymne von For Everyman, die Browne schon als 16-Jähriger schrieb. Die Sängerin Nico machte sie 1967 auf ihrer Debüt-LP bekannt, eine brillante Version spielte auch Gregg Allman 1973 für seine erstes Solo-Album ein. Am ehesten erfreut von den aktuellen Songs die Byrds-Reminiszenz The Birds Of St. Marks, geschrieben freilich schon 1969. Greg Leisz (65) spielt dazu standesgemäß zwölf-saitige E-Gitarre.
Leisz gehört zu Amerikas bekanntesten Studiomusikern und gilt als Meister der Pedal-Steel-Gitarre. Im Sommer 1988 stand er einst mit der kanadischen Sängerin k.d. lang auf der Bühne des Hamburger Thalia Theaters. Wie die gesamte Band – Bassist Bob Glaub (62) ist seit Anfangstagen dabei – spielt Leisz sehr gut, sehr angepasst und etwas leidenschaftslos. Mühelos kopiert er dabei seinen legendären Band-Vorgänger David Lindley.
Alles fügt sich gegen Ende, wenn Jackson Brownes erster Hit Doctor My Eyes, das ausladende The Pretender (Browne am Flügel) und Running On Empty erklingen; die Zuschauer hatten geduldig darauf gewartet. Letzte Zugabe nach fast drei Stunden: Take It Easy, der von den Eagles nachgespielte Hit mit Glenn Freys Macho-Lyrics: „I’m a standing on a corner in Winslow, Arizona, such a fine sight to see. It’s a girl, my Lord, in a flatbed Ford, slowing down to take a look at me.“
Wie auf For Everyman geht das Stück über in die Ballade Our Lady Of The Well. Der leise, zurückgenommene und mit persönlicher Anteilnahme gespielte Schluss-Jam der hochklassigen Band zeigt, welches Potenzial sie wirklich hat. Zuvor noch – ungeplant und auf Zuruf aus der ersten Reihe – sein größter Charts-Erfolg: Flugs wird die bereits für ein anderes Lied vorgesehen Gitarre getauscht, für den lässigen Yachtrock-Hit Somebody’s Baby vom Soundtrack der Highschool-Komödie „Ich glaub’, ich steh’ im Wald“ (1982) muss es natürlich eine hellgrüne Fender sein.