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Wo die Dinge ein Ende finden

Das Rätsel um den Autohändler

 

Zuerst war es eine Ratte, dann kam Django hinzu: Ulrich Ladurner betrachtet Hamburg aus ungewöhnlichen Perspektiven, mal erfindet er mehr, mal weniger, aber immer lässt er sich von grob unterschätzter Wirklichkeit inspirieren. Seine neuen Hamburger Geschichten spielen immer dort, wo die Dinge ein Ende finden, in Francos Traum, bei der einsamen Frau Kruse oder dem ewig fluchenden Helmut Schausten. Hier lesen wir die Geschichte vom Gebrauchtwagenhändler Jan, der aus St. Pauli verschwand und damit viel Anlass für Spekulationen gab.

Nachdem Jan seinen Handel mit gebrauchten Autos aufgegeben hatte, kursierten im Viertel allerlei Gerüchte über ihn. Er habe, so sagten die einen, kein Talent für den Handel mit Gebrauchtwaren gehabt, viel zu ehrlich sei er gewesen, viel zu oft habe er sich über den Tisch ziehen lassen. St. Pauli sei nun einmal eine raues Pflaster. An der Holstenstraße, in unmittelbarer Nähe zur Reeperbahn, gehe es besonders harsch zu. Für Träumer wie Jan gebe es hier einfachen keinen Platz.

Die anderen hingegen behaupteten, er sei ein Schwindler gewesen, der mit großem Geschick kaputte Autos für teures Geld an den Mann gebracht habe, aber die Polizei sei ihm schließlich auf die Schliche gekommen, darum sei er bei Nacht und Nebel verschwunden. Nein, sagten die anderen, nicht vor der Polizei sei er geflüchtet, sondern vor denen, die er betrogen hatte. Denn hier, an der Reeperbahn, regle man solche Dinge gerne lieber unter sich.

Hamburg-St. Pauli (c) Ulrich Ladurner
Hamburg-St. Pauli (c) Ulrich Ladurner

Die Tatsache, dass über Jan so Widersprüchliches erzählt wurde, zeigt nur, dass ihn niemand wirklich kannte.

Viele, die sich über Jans Verschwinden Gedanken machten, setzten sich vor den Computer und suchten via Google nach ihm. Dabei stießen sie auf den Autohandel eines gewissen Jan L. in einer Kleinstadt am Rand von Hamburg, „Seit über 20 Jahren in der Autohandel-Branche tätig“ heißt es da. Es lag sehr nahe, in Herrn L. eben jenen Jan zu vermuten, der noch bis vor Kurzem sein kleines Autohaus auf St. Pauli gehabt hatte. Hatte er es etwa von der Holstenstraße nach außerhalb verlegt? Oder war die Verkaufsstelle auf dem Kiez vielleicht nur eine Niederlassung seines Hauptsitzes?

Ein Anruf hätte genügt, um das zu klären, man hätte sicher bereitwillig Auskunft gegeben. Doch keiner aus St. Pauli rief an, denn jeder fürchtete sich vor der möglichen Antwort.

„Unser Mietvertrag ist ausgelaufen“, oder: „In der Kleinstadt bin ich näher am Kunden!“, oder: „Ich habe expandiert!“, oder noch viel schlimmer: „Die Holstenstraße? Ach, das war nur kleiner Außenposten in einer schwierigen Gegend, völlig unrentabel!“

Wie banal die Wahrheit doch ist! Die Leute im Viertel entschieden sich, sie zu ignorieren. Sie blieben lieber bei ihren Geschichten. Denn das macht St. Pauli ja aus, seine Geschichten.