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FC St. Pauli

Mehr Empathie, weniger Proficlub

 

Als Roland Vrabec im Herbst 2013 vom Co- zum Cheftrainer des Bundesligisten FC St. Pauli wurde, wirkten seine ersten Worte wie eine Befreiung vom defensiven Konzept seines Vorgängers Michael Frontzeck oder des verkopften Fußballschemas seines Vor-Vorgängers André Schubert. Die Jungs sollten an ihre innere Stärke glauben, lernen, auch bei einem Rückstand nicht aufzugeben. Das klang nicht nach modernem Schemafußball, sondern nach agilem Coachen. Ich jubelte innerlich – da gab es nun einen, der vertraute statt zu zwängen.

Im folgenden Spiel gegen den Abstiegskandidaten Cottbus (für St. Pauli immer die schwersten Spiele) wirbelten die jungen Vrabec-Schüler dann auch so, als hätte dieser mal so eben ihre Stärken freigelegt. Das junge Mittelfeld spielte befreit und unkonventionell, fand sich zusammen und tollte mehr, als dass es arbeitete. Und das blieb so, bis zur Rückrunde. Heute, zwei Spieltage vor dem Ende der Saison, ist davon nicht mehr viel übrig.  Auch, weil Roland Vrabec den FC St. Pauli mit einem Proficlub verwechselt.

Roland Vrabec hat eine Turbokarriere hingelegt. Er kam als U-18-Coach der Nationalmannschaft zu St. Pauli, er hatte unter Horst Hrubesch – also von einem der größten – gelernt.  Den modernen Fußball beherrscht Vrabec, davon kann ich ausgehen. Was also ist es, das ihn in diesem Frühjahr beinahe scheitern lässt?

Ist es der Druck zu gewinnen, dieser hell brennende Ehrgeiz mit kurzer Lunte, der Trainer dazu bringt, immer öfter die Machtfrage zu stellen? In fesselnden Floskeln zu sprechen, statt zuzuhören? Jeder, der Führungserfahrung hat, kennt diesen Moment, in dem dein Team dir droht, aus den Fingern zu gleiten. Je mehr formalen Druck man dann aufbaut, desto mehr Sternensysteme rutschen einem durch. Das wusste schon Prinzessin Leia in Krieg der Sterne.

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Flagge mit der Nummer ’17‘ – der Rückennummer von Fabian Boll auf der Gegengerade. Foto: Erik Hauth

Nachdem Roland Vrabec beim vorletzten Heimspiel der Saison St. Paulis Urgestein Fabian Boll einen Platz im Kader verwehrte und der Coach es fertigbrachte, nach der desolaten Niederlage gegen Aalen auch noch die Fans am Millerntor zu maßregeln, weil diese lautstark Boll gefordert hatten, steht er nun an einem Wendepunkt. Gelingt es ihm, zu seiner ursprünglichen Idee zurückzufinden, Empathie zu entwickeln dafür, dass St. Pauli einen verdienten Spieler, wie Fabian Boll nicht nach aktuellen medizinischen Werten beurteilt?

Ich hoffe das sehr.

Andere Trainer holen sich Geistheiler ins Team, wenn sie mit ihrer Fußballphysik am Ende sind. Vrabec hat etwas Besseres: einen Haudegen von einem St. Paulianer, der ihm noch viel über die besondere Chemie am Millerntor beibringen kann, und eine Fanschaft, die Fehler verzeiht, vor allem, wenn sie aus ehrlicher Emotion entstehen. Und wer weiß, wenn die Fesseln des modernen Fußball einmal gesprengt sind, spielen seine Jungs auf dem Rasen die Favoriten wieder in Grund und Boden –  führen ihren Gegnern vor, was die Magie des auf sich selbst vertrauen  bewirken kann.

Wir werden dies jedem neuen Profitrainer beibringen müssen. Warum nicht Roland Vrabec?