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FC St. Pauli - 1860 München

Einmal Kniekehle zuviel

 

Der Wille, das Millerntor umzupflügen, um in der Tabelle nach oben zu kommen, ist da – auf dem Rasen wie auf den Rängen. Aber man kann es auch übertreiben.

An uns lag es nicht. Seit Saisonbeginn belegen wir lautstark unsere Entschlossenheit auf den Rängen. Die letzten Zweifel vereinzelter Grübler, Pessimisten oder anderweitig hadernder Stadionbesucher (die noch immer nicht an den baldigen Aufstieg glauben wollen) grölten wir am Donnerstagabend ab der 16. Minute weg: Christopher Buchtmann hatte gerade den Ball zur 1:0-Führung im Netz der 1860er versenkt.

Die Qualität des Spiels gegen die Gäste aus München nahm danach zwar nicht zu. Aber gegen Lasse Sobiechs Taktik „Hauptsache weit und weg“, hatte niemand etwas einzuwenden. Unser Turm in der Innenverteidigung demonstrierte damit, welche Charaktereigenschaft er beim jetzigen Tabellenstand für die wichtigste hält, um uns endlich nach oben zu bringen: Entschlossenheit.

Tatsächlich war an diesem Abend der Wille jedes einzelnen, 90 Minuten lang den Rasen umzupflügen, erkennbar. Besonders gut sah man dies Buchtmann an: Statt mit Fröhlichkeit feierte er sein Tor mit einer Mimik und Gestik, als wollte er anschließend gleich noch den Bayrischen Wald in Kleinholz und den Himalaya zu Feinstaub verarbeiten.

Ähnlich erfrischend drauf ist Ewald Lienen. Vor dem Spiel kurvte der Trainer wie üblich mit geballter Faust durchs Stadion. Während des Spiels verbannten die Schiedsrichter unser Rumpelstilzchen fast auf die Tribüne. Und nach dem Spiel wetterte der Übungsleiter noch lautstark gegen die neumodische Fußballkultur, die sich von euroschleudernden Investoren abhängig gemacht habe. Mit seinem prassenden jordanischen Geldgeber, motzte Lienen, sei 1860 München noch „viel schlimmer“ als RB Leipzig.

Auch Robin Himmelmann bei seiner Glanzparade gegen Michael Liendl in der 19. oder Bernd Nehrig bei seinem Kopfball zum 2:1 in der 76. Minute: Entschlossenheit bis in die Haarspitzen. Unser Pech an diesem Abend (neben dem krassen Fehlentscheid, der den Gegnern einen Elfmeter bescherte) war allerdings, dass nicht nur alle Boys in Brown Biss zeigten. Auch die Münchner scheinen festgestellt zu haben, dass sich damit Punkte machen lassen. Am beeindruckendsten zeigte dies der Brasilianer Victor Andrade. Er semmelte den Ball nur eine Minute nach unserem Führungstreffer humorlos mit einem Strich aus spitzem Winkel unhaltbar in die Maschen.

Das 2:2 bringt uns in der Rangliste nicht nach oben. Aber die gezeigte Einstellung wird es zwangsläufig tun. Früher oder später. Nur womöglich noch nicht in den nächsten Wochen. Denn der Garant für Stabilität wird uns vermutlich fehlen: Lasse Sobiech übertrieb es nämlich einen Moment lang mit der positiven Eigenschaft Entschlossenheit. In der 52. Minute trat er den Löwen-Verteidiger Jan Mauersberger absichtlich in die Kniekehle. Da der Schiedsrichter die Tätlichkeit nicht sah, wird sich wohl bald der Kontrollausschuss des DFB die Videobilder ansehen – und den Innenverteidiger für mehrere Spiele sperren. Wir werden sehr entschlossen brüllen müssen, um diesen Ausfall zu kompensieren.