Performance ist körperbetont – und spannt auch gern die Zuschauer mit ein. Körperkunst mit viel Plastikfolie zeigte am Donnerstag die Hamburger Galerie Affenfaust.
Eine Frau wird in Frischhaltefolie eingewickelt, transparentes Plastik spannt sich bis über ihr Gesicht, droht ihr den Atem zu rauben – und um sie herum stehen lauter gut gekleidete Menschen und schauen zu. Es handelt sich um eine Performance von Anne Pretzsch, Anna Hubner, Christine Kristmann und Lionel Tomm in der Affenfaust Galerie.
Die Galerie auf St. Pauli, Hamburgs Anlaufstelle für alles, was sich im Dunstkreis von Urban Art abspielt, hat zur ersten Performance-Nacht geladen. Am Donnerstagabend verschmelzen hier die Grenzen zwischen Werk und Künstler.
Performance-Kunst, aus dem Geist der sechziger Jahre entstanden, macht den Körper zum Kunstwerk. Durch Aktionen, die für Uneingeweihte irgendwo zwischen Improvisationstheater und Pantomime verortbar scheinen, entstehen Kunstwerke, die sich nicht nur im Raum, sondern in der Zeit abspielen. Ist die Performance vorbei, verschwindet auch das Kunstwerk, denn im Gegensatz zum Theaterstück wird eine Performance in der Regel nicht wiederholt: Der Künstler durchlebt den Moment zum ersten Mal.
So ein Werk lässt sich schwer verkaufen – das hindert Performance-Künstler nicht daran, zu Stars zu werden: Bekanntes Beispiel ist die serbische Künstlerin Marina Abramović, die nicht nur ihren Körper künstlerisch malträtiert, sondern durch Kooperationen mit Lady Gaga oder Jay Z noch mit über 60 Popstarstatus erreichte.
Auch in der Affenfaust müssen die Körper der Performer viel durchmachen. Es geht um Zuschreibungen und Rollenklischees. „Als wer werde ich beschrieben?“, „Als wer werde ich gesehen?“, lauten die Fragen, die die Künstlergruppe stellt.
Eine halbe Stunde vor Beginn herrscht Spannung im Galerieraum. Menschen in minimalistisch geschnittenen Mänteln und weißen Turnschuhen rauchen vor der Tür, Frauen mit Dutt und bärtige Brillenträger unterhalten sich gedämpft. Man merkt, dass sich der Abend von anderen Ausstellungseröffnungen unterscheidet. Vorsichtig nähert man sich den Plastikfolien, die doppelt gelegt durch den Raum gespannt sind, und liest die daran angebrachten Zettel mit Textfragmenten von politischen Statements über Hashtags bis zu Gangster-Rap-Zitaten und Online-Psychotests. Schon hier kristallisiert sich das Thema heraus: Wahrnehmung von außen, stereotype Identitäten und wie man damit umgeht.
Eine Frau wird scheinbar wahllos aus dem Publikum gezogen
Dann begegnen wir den Künstlern als lebende Statuen, die sich zwischen die Plastikfolien schieben. Bewegung kommt ins Spiel, als die drei Akteure, inzwischen aus ihrem Foliengefängnis herausgetreten, die daran montierten Zettel abreißen und die Texte laut vortragen. Auch Zuschauer sollen Textstücke lesen oder mitflüstern. Halb gespannt, halb ängstlich wartet man ab, ob man auch an die Reihe kommt. Durch die Publikumsteilnahme wird die Performance kunsthistorisch gesehen zum Happening – doch geht es in der Aufführung nicht gerade um die Hinterfragung solcher Etikettierungen?
Im ersten Teil der knapp 45-minütigen Performance werden die Künstler zunehmend aggressiver. Sie brüllen sich Zitate entgegen, nehmen sich Huckepack oder halten einander Mund oder Augen zu. Erst bleiben wir distanziert, dann ist doch ein geschocktes „Alter Schwede“ zu hören, als eine Frau scheinbar wahllos aus dem Publikum gezogen und in Frischhaltefolie eingewickelt wird. Erst nach ihrer Befreiung stellt man erleichtert fest, dass sie Teil der Künstlergruppe ist.
Im zweiten Teil der Performance kommt Dialog hinzu. Die eben noch in Folie gefesselte Christine Kristmann gibt ihren Kollegen Anweisungen. Zu Begriffen wie „Macht“ oder „Familie“ halten sie erst frei assoziierte Monologe, dann interagieren sie auf Zuruf: „Kannst du dich zu Anne so verhalten, wie du dich zu deiner Mutter verhalten würdest?“ Die Aufgeforderte wirft sich ihrer Künstlerkollegin in die Arme. Doch dann folgen Befehle wie „Kannst du die Situation gefährlich werden lassen?“, und die Idylle zerbricht. Unweigerlich stellt sich die Frage, wie man selbst solche Aufgaben absolvieren würde – und ob die Aktionen gescriptet sind oder spontan entstehen.
Zum Grand Finale erhalten wir Zuschauer dann endgültig unseren Platz im Performance-Kunstwerk. Erst muss sich jeder mit einem Sticker ziemlich plakativ als Intellektueller, Loser oder Rassistin labeln lassen – die Reaktion folgt auf dem Fuße: Die Künstler drücken uns durch ein Stück Folie ein lobendes Küsschen auf oder machen eine Spuckgeste. Der Spieß wird umgedreht und wir sind plötzlich selbst Objekt voyeuristischer Betrachtung à la „Was ist die/der denn für einer?“.
Obwohl sich danach schon so mancher Zuschauer verabschiedet, gibt es noch „Nachtisch“. Die Künstlerinnen Luise Leschik, Yolanda Morales und Lea Dietschman runden den Abend mit drei Kurzperformances ab: Dabei wird aus Jugendtagebüchern gelesen, evokativ getanzt – und schließlich entlässt Lea Dietschman uns mit einer augenzwinkernden Lesung aus Prosa-Fundstücken zu den Begriffen „Affen“ und „Faust“ gut unterhalten und mit diversen Denkanstößen in die Novembernacht.