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John Fogerty

Rockgegniedel und Klassiker für Ex-Hippies

 

Ein Foto von Creedence Clearwater Revival hat unseren Autor 1975 elektrisiert und für das Leben geprägt. Nun hat er John Fogerty im Stadtpark gehört und gesehen.

Es war 1975, in Ulrikes Jugendzimmer: Neben Simon & Garfunkel, Nazareth und Gilbert O’Sullivan stand bei ihr eine mir unbekannte Langspielplatte, ihr älterer Bruder hatte sie Ulrike überlassen. „Pagan baby! Come on home with me!“, brüllte darauf ein wildgewordener Sänger mit Nebelkrähenstimme zu betont rauem und simpel gehaltenem Midtempo-Rock. Gitarre, Bass, Schlagzeug. Pendulum hieß das Album, Creedence Clearwater Revival die Band. Alle vier Bandmitglieder waren abgebildet, aber es wurden keine Instrumente genannt. Wer war der Sänger? Ich entschied mich für Doug Clifford – er hatte den auffälligsten Vollbart.

Die Platte war noch am selben Tag in meinen Besitz übergegangen, Ulrike fand sie nicht weiter interessant. Pendulum lief fortan im Dauereinsatz: Have You Ever Seen The Rain und Hey Tonight, das wunderbar orgellastige  It’s Just A Thought, und Rude Awakening #2, die bedeutungsschwere Psychedelic-Nummer am Ende der Platte. Stunde um Stunde betrachtete ich in meinem Hoisbütteler Wohnblockzimmer die Hülle. Das colorierte Bandporträt der Vorderseite: Der Sänger war in Wahrheit John Fogerty, der einzig Bartlose, dafür mit dicker rotblonder Mähne, Karohemd und Cowboy-Halstuch. Die angekokelte Wellblechscheune auf der Rückseite: Was wollten sie in diesem heruntergekommenen Gebäude? Rätselhaft!

Am bedeutsamsten aber war das berühmte Schwarzweißbild des Rolling Stone-Hausfotografen Baron Wolman in der Mitte des Aufklappcovers: John Fogerty 1970 auf der Bühne des Oakland Coliseums, von hinten in die begeisterte Menge fotografiert. Fogerty grüßt, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, mit umgehängter E-Gitarre ins Publikum. Hunderte Gesichter sind zu erkennen. Mädchen am Bühnenrand versuchen, seine Stiefel zu berühren, andere himmeln ihn mit offenem Mund an. Ein Zuschauer in der ersten Reihe wirkt stark bekifft, er kann die Augen kaum offen halten. Drei blonde Hippie-Girls, eins mit Stirnband, bilden eine blütenförmige Jubeltraube, einen Meter über den Köpfen der anderen. Springen sie gleichzeitig hoch? Sitzen sie auf Männerschultern? Wohin blicken die Frau mit dem Pelzkragen und der Schwarze mit der Nickelbrille? Irgendetwas scheint vor der Bühne durch die Luft zu segeln. Ein Drumstick?

Die ganze Atmosphäre ist elektrisierend, verheißungsvoll, positiv und fremdartig zugleich, sie scheint alles auszudrücken, was Rockmusik damals bedeutete. Oder mindestens all das, was ich mir als 13-Jähriger vage darunter vorstellen konnte. Auf so eine Bühne wollte ich jedenfalls auch.

Als John Fogerty und seine fünfköpfige Band Freitag gegen halb acht auf der Hamburger Stadtparkbühne einstöpseln, ist herrlichste Abendsonne. Bei Who’ll Stop The Rain erzählt Fogerty, dass er den Song in den Tagen nach dem Woodstock-Auftritt seiner Band schrieb – der als wertkonservativ bekannte Musiker äußerte sich stets abfällig über das Festival – und dass das Publikum damals nicht halb so attraktiv ausgesehen habe wie hier und heute in „Hamburg, Germany“. Ach nein, ja? In Wirklichkeit steht in großen Teilen dieselbe Generation vor ihm, gutbürgerliche und leicht aus der Form geratene Ex-Hippies mit grauem und/oder lichtem Haar, nicht wenige stecken in praktischen Softshell-Allzweckjacken von The North Face & Co. – falls es vielleicht doch noch tröpfelt… Fogerty selbst ohne Karos, dafür ganz in schwarzblauem Denim, gar nicht übel!

Dafür ist das Haupthaar jetzt kastanienbraun nachgedunkelt, die imposante Zahnlücke von früher ist auch verschwunden. Etwas peinlich? Nö: John Cameron Fogerty ist zwei Tage zuvor 69 Jahre alt geworden, ein bisschen spleenig darf er ja wohl sein. „Happy birthday, lieber Jo-hon!“ wird im Publikum angestimmt, Fogerty erfreuts in Maßen, es folgt Lookin’ Out My Back Door. Soweit, so erwartungsgemäß, und es müssten noch ungefähr 15 Superhits folgen. Am Ende sollten nur Suzy Q., Run Through The Jungle und Sweet Hitch-Hiker fehlen. Doch soweit war es noch nicht.

Mit dem Organisten kommt die Wende

Fogerty wandert etwas hüftsteif über die große Bühne, ist allerdings erstaunlich gut bei Stimme und lässt seine Gitarrenkollektion – nach fast jedem Stück wird ein gestimmtes Instrument gereicht – ordentlich jaulen. Mit blondem Familienwuschelkopf ist Sohn Shane Fogerty (23) der Rhythmusgitarrist. Er vertraut seiner schicken Rickenbacker-Gitarre dagegen fast nonstop. Es ist in etwa das Modell, das sein Vater früher häufig spielte. Es gibt noch einen dritten (!) Gitarristen, Devon Pangle, aber der wird nicht wirklich gebraucht.

An Schlagzeuger Kenny Aronoff, lange Zeit bei John Mellencamp, scheiden sich in Fogerty-Fankreisen seit Jahren die Geister. Die einen – auch Fogerty selbst – halten ihn für einen der besten Rockdrummer der Welt. Anderen ist er zu unentspannt und überpräzise, neun von zehn seiner Powerwirbel brauche man bei den einfachen CCR-Liedern gar nicht. Doug Clifford, der Vollbartträger, habe damals bisweilen zwar ganz schön geeiert, aber irgendwie auch genau das Richtige gespielt. Optisch wirkt Aronoff allemal wie ein Fremdkörper: Mit schwarzem Muskel-Shirt, kahlrasiertem Schädel und Hyper-Hyper-Sonnenbrille wähnt man ihn eher als Musiker bei den Techno-Veteranen Underworld, wahlweise Right Said Fred. Seit 17 Jahren hält Fogerty schon an ihm fest, das muss man dann wohl akzeptieren. Oder man postiert sich so, dass man ihn nicht sieht.

Die Angst vor dem neuen Bassisten, früher bei David Lee Roth und der Trash-Metal Band Megadeath (!), erweist sich indes als unbegründet: Der langhaarige James LoMenzo bleibt cool und spielt zweckdienlich. Nur beim Solo in Keep On Chooglin lässt er es amtlich brettern. Auffällig gut und heimlicher Star der Tourband ist Bob Malone. Der 48-jährige Keyboarder aus Los Angeles veröffentlicht auch eigene Platten, hat ein elektrisches Fender-Rhodes-Piano und eine imposante alte Hammond B3-Orgel aufgebaut.

Mit ihm kommt auch die Wende in einem bis dahin von reichlich uninteressantem Rockgegniedel geprägten Auftritt, dessen Höhepunkt die unsägliche Verhunzung des wunderbaren Lodi als CCR-Coverband-Hardrockversion ist – zum Davonlaufen! Doch nach der federnden Acht-Minuten-Version des Motown-Klassikers I Heard It Through the Grapevine mit einem schönen Pianoeinsatz Malones wird alles besser, versöhnt sogleich und versetzt in anstiftende Foxtrott-Laune. Es folgen neun stone cold classics von CCR, der Rock’n’Roll-Gassenhauer New Orleans von Gary U.S. Bonds und Fogertys Solohit The Old Man Down The Road von 1985. Have You Ever Seen The Rain und Down On The Corner (komplett mit Kuhglocke im Intro!) werden inbrünstig mitgesungen, teilweise in neuen Tonarten und lustigem Fantasie-Englisch. Die Zugaben enden mit Proud Mary: Big wheel, keep on turnin’…. Herrlich, dann doch spitze! Dank Weißwein auch. Freitagabend, Entschuldigung?

Das Wolman-Foto prangt am Merchandising-Stand Richtung Ausgang auf teuren Kapuzenjacken, auch aber auf einem bezahlbaren Gitarrenplektrum. Ach so, und Fogerty eigentlich mit einem o wie bei „snow“, nicht wie in „Nogger“. Das musste ich aber auch erst mal lernen, und mache es eigentlich trotzdem immer falsch.