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Ryan Adams

Roots-Rock – besser gehts kaum

 

Springsteen, Doobie Brothers, Petty, Mellencamp, Motown oder Sonic Youth: Ryan Adams kann sie alle. Im Hamburger Docks gab er eine großartige Vorstellung.

Hunderte Fans standen schon um halb sieben vor dem Docks auf der Reeperbahn. Einziges Konzert in Deutschland, die Show von Ryan Adams und seiner neuen Band The Shining ist seit Wochen ausverkauft. Um neun dann abgedunkelte Mitternachtsbeleuchtung auf der Bühne, während draußen die Abendsonne verglüht und die Lüftung im Saal auf Höchststufe ächzt und rumpelt.

Umringt von einer schrullig-heimeligen Vintage-Bühnendekoration mit Achtziger-Jahre-Spielautomaten (Asteroids), einem ausgestopften Tiger, riesigen Fender-Verstärker-Attrappen, einer historischen Dr. Pepper-Colamaschine und an den Mikroständern baumelnden Bürgerkriegssäbeln setzt das Eröffnungsriff von Gimme Something Good vom neuen Album  ein. Downtempo, schwer und düster. Die Intensität ist augenblicklich hoch, und sie steigert sich über eindreiviertel Stunden zu einem der besten Roots-Rock-Auftritte, die seit Langem über eine Hamburger Bühne gingen.

Der Motown-Beat im mitreißenden Feels Like Fire, ebenfalls neu, stampft wie bei Bruce Springsteens Badlands, und es liegt alles so nah beieinander. Auch John Mellencamp und Tom Petty wird deutlich zugewunken. Inzwischen kann es sogar vorkommen, wie zuletzt in Nashville, dass er Summer Of 69 von Bryan Adams (!) ironiefrei spielt. Früher ließ er fehlgeleitete Zuschauer aus dem Konzert werfen, die fatalerweise danach begehrten. Doch Ryan Adams spielt nur mit deren Mainstream-Codes, ihm fehlt der Drang zu eindimensionaler Amtlichkeit und wohlklingender Vollbedienung.

Was nicht heißt, dass der brillante Gitarrist keine minutenlangen Soli mit zurückgeworfenem Oberkörper spielt. Den dreistimmigen Chor in den ergreifenden, inspirierten Versionen der Klassiker Oh My Sweet Carolina (2000) und When The Stars Go Blue (2001) hätten die Doobie Brothers auch nicht besser intoniert. Seine amerikanischen Punk-Helden wie Wipers und Sonic Youth sind auf zweiter Ebene indessen stets dabei, das sorgt für Schmutz und Irritation, das macht auch bei der mildesten Countryballade den Unterschied.

Adams wirkt ausgeglichen, gleichzeitig hochkonzentriert. „Blitz aus, du Volltrottel!“ bleibt die einzige Schroffheit des als launenhaft bekannten Sängers. Die anderen Zuschauer fotografieren ohne, sie sind vertraut mit seinen heftigen Innenohrproblemen (Menière-Syndrom), die auch durch visuelle Reize ausgelöst werden und ihn fast die Karriere kosteten.

Er hatte es früher auch ganz schön krachen lassen. Kopfschüttelnd verließen im Februar 2002 die Zuschauer das groß angekündigte Konzert in der Großen Freiheit 36. Ein wilder, schwarz gekleideter Haufen, namentlich Ryan Adams & The Sweetheart Revolution, stümperte sich mit Fragezeichen auf der Stirn durch halbe Songs der kurz zuvor veröffentlichten, von Kritikern und den neuen Fans geliebten (zweiten) LP Gold. Wenn die Musiker denn überhaupt auf der Bühne waren und spielten. Verpeilter ging es kaum. Von Bier, viel Bier war in den Konzertbesprechungen anschließend die Rede.

Das kann man annehmen. Nach eineinhalb Stunden tauchte seinerzeit dann plötzlich Brown Sugar in der Setliste auf, der hingerotzte Rolling-Stones-Oldie. Der Sänger und einige seiner verwegenen Genossen schienen zwischenzeitlich auf die eine oder andere Art feinstofflich unterwegs gewesen zu sein – zumindest konnte sich Adams gewisse Andeutungen darüber nicht verkneifen. Plötzlich zündete die Rakete – es folgte eine unvergessliche weitere Stunde vor Restpublikum. Die Gratwanderung zwischen Kaputtheit und Euphorie, Scheitern und Größenwahn, zwischen bemitleidenswert und unerreichbar cool – plötzlich löste sich ein, was längst Relikt gewesen zu sein schien: Hosen runterlassen und scharfe, laute Rockmusik spielen, den Augenblick nutzen, zur Legende werden.

In den Folgejahren wurde Adams dann andere Musik wichtiger, The Streets oder Phoenix oder M.I.A., Countryrock und Americana konnten warten. Spätestens der weltweite Erfolg der kanadischen Band The War On Drugs im letzten Jahr offenbarte die Sehnsucht nach zeitlosen Rocksongs Fleetwood-Mac’scher Prägung. Das Album Ryan Adams – bereits sein 14. – trifft  genau diese Kerbe. Auch seine Ex-Frau Mandy Moore ist darauf vertreten. 2014 wurde die Ehe mit dem früheren Teenagerstar (Musik und Kino) geschieden. Nach Bubblegum war sie 2009 mit dem Album Amanda Leigh bei erwachsenem Countrypop angelangt. „Unüberbrückbare Differenzen“ – schade eigentlich, sie singen sehr hübsch zusammen.

Neben Adams stehen vier Cracks mit demselben Geschmack auf der Docks-Bühne, The Band trifft The Replacements (circa All Shook Down, 1990). Daniel Clarke (früher bei k.d.lang) thront mit schwerer Hammondorgel hinter einer mit Peace-Zeichen verfremdeten US-Flagge. Co-Producer Mike Viola ist als zweiter Gitarrist dabei, er spielt scharf und präzise, Charlie Stavish (auch bei Foster The People und Jenny Lewis) legt schwere Bässe genau auf die Bassdrum, und Freddie Bokkenheuser lässt die Snare an den richtigen Stellen knacken; auch einen Bo-Diddley-Beat schüttelt der sportlich wirkende Drummer aus dem Ärmel. Bokkenheuser musste nach kurzer Nacht am Donnerstagnachmittag schon wieder beim Roskilde-Festival aufspielen – er ist Däne. Eine geniale, blendend eingespielte Formation, das Publikum ist begeistert.

Jubel natürlich auch für den Ausnahmesänger und -songschreiber. Für eine Soloversion seines ersten Hits New York, New York kehrt Ryan Adams noch einmal mit Westerngitarre zurück. Das abschließende Mundharmonikasolo geht durch Mark und Bein.