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Mittagstisch

Rotwein statt Billig-Burger

 

Der Undercover-Recherche-Recke Günter Wallraff hat für RTL aufgedeckt, wie in den Filialen eines Franchise-Nehmers einer Burger-Brat-Kette die Regeln so lange gebogen werden, bis sie brechen. Und die Zuschauer brechen gleich mit, wenn sie sehen, dass man in der Küche Darmbakterien nachweisen kann, weil die Arbeitsumstände selbst simpelste Hygieneregeln außer Kraft setzen.

Das ist eklig. Aber es ist noch mehr als das: Es ist ein Symbol für unseren totalen Selbstbetrug in Bezug auf Nahrungsmittel. Denn der Druck, unter dem die Mitarbeiter dieser Filialen stehen, mag in diesem speziellen Fall von einem skrupellosen Geschäftsführer herrühren. Aber ganz ehrlich: Was genau erwarten wir, wenn wir für Cent-Beträge Mahlzeiten serviert bekommen wollen? Der eigentliche Druck kommt doch daher, dass wir nichts für unser Essen ausgeben wollen. Und ich glaube, es gibt nur einen realistischen Weg, das zu ändern: Mehr Wein!

Denn wenn wir ehrlich sind, wird kein normaler Gastronom damit durchkommen, einfach die Preise zu erhöhen, wenn der Nachbar billig bleibt. Dabei ist es Irrsinn. Ein Beispiel: Bei Borsalino in der Schanze bekommt man einen wunderbaren Mittagstisch mit Vor- und Hauptspeise (drei zur Auswahl, jeweils Pasta, Fisch oder Fleisch) für 6,20 Euro.  Das ist nicht nur preiswert, das ist quasi geschenkt – vor allem gemessen an der Qualität. Und es gibt nur einen Weg, wie sich das überhaupt rechnet: Über die Getränke. Ich beobachte aber seit Jahren, wie viele Leute mittags kein Getränk zum Essen bestellen, und das muss ab sofort ein Ende haben.

Es mag bei Auszubildenden okay sein, die einfach das Geld nicht haben. Alle anderen aber bestellen im Zweifel bitte lieber ein günstigeres Gericht und trinken einen Wein dazu. Und einen Espresso hinterher. Denn noch gibt es ein paar Läden, in denen mit Kreativität und Herz schöne Sachen gekocht werden, die eben nicht profitoptimiert sind, sondern geschmacksoptimiert. Noch ein Beispiel: Die Gekreuzten Möhrchen in der Bernstorffstraße zwischen St. Pauli und Sternschanze – die im April zugemacht haben, weil sich der absolut wunderbare Mittagstisch einfach nicht rechnet, obwohl der Laden mittags gut besucht war. Die haben das Problem noch potenziert, indem sie kostenloses Wasser in Karaffen auf dem Tisch stehen hatten, aber die Tendenz ist dieselbe: Hätten wir eine selbstverständliche Weinkultur wie in Italien oder Frankreich, dann hätten wir mehr Restaurants, die sich entspannt Gedanken um das Mittagessen machen könnten. Wir hätten mehr Quantität und Qualität. Stattdessen betteln wir geradezu darum, immer billigeren Schrott vorgesetzt zu bekommen, weil wir uns die Getränke verkneifen.

Natürlich ist Gastronomie ein Geschäft, in dem schlank kalkuliert werden muss, aber so, wie es heute ist, kann man den normalen Gastronomen schon gar nicht mehr vorwerfen, wenn ihre Rohwaren zumindest mittags aus der untersten Schublade kommen (der Abend ist ein völlig anderes Geschäft, weil wir abends für dieselbe Mahlzeit gerne das drei- oder vierfache bezahlen und natürlich dazu trinken).

Wir können das sofort ändern: indem wir mittags ein Glas Wein trinken. Das hilft nebenbei übrigens auch noch bei ganz anderen Fragen: Wir gehen seltener Fast Food essen, weil es da keinen Wein gibt – und so ein Gläschen am Mittag entspannt gleichzeitig auch den Rest des Tages.

Ich wünschte, alle Probleme wären so leicht zu lösen.