Vom hanseatischen Kuttenkumpel in den 50ern bis zum Nachwuchsfan im Baseballcap: Die Thrash-Metaller Kreator haben ihre Hamburger Freunde auf Touren gebracht.
Es muss für die Musical-gewohnten Mitarbeiter der Halle am Großmarkt eine gewisse Belastung sein, sich den ganzen Abend sägende Gitarren, peitschende Drums und zornige Schreie durch die Gehörgänge jagen zu lassen. Doch das erst vor zwei Jahren entstandene Mehr!-Theater, in dem ab Sommer das Ballett-Musical Billy Elliot laufen soll, wird immer häufiger zum Schauplatz von Konzerten härterer Gangart. Alles an diesem Abend wirkt professionell. Die Ruhrpott-Metaller Kreator sind zu Gast und teilen sich die Bühne mit Sepultura aus Brasilien, den Schweden von Soilwork und den multinationalen Aborted.
Letztere machen mit kompromisslosem und sensationell brutalem Death-Metal-Geknüppel den Auftakt in der eindrucksvollen Halle des Hamburger Architekten Hermkes. Das Konzert ist nicht ganz ausverkauft und so bleibt es über den ganzen Abend den Umständen entsprechend gemütlich. Von Kuttenkumpels in ihren 50ern bis zu Baseballcap-tragenden Nachwuchsfans ist alles anwesend, ein typisches Metal-Konzert in Hamburg eben. Der äußerliche Kontrast der Chaos-Horden zum Barpersonal in feinen Hemden ist groß.
Soilwork sind als Nummer zwei an der Reihe und freuen sich sichtlich, mit auf Tour zu sein. Sänger Björn Strid, bekannt für seine kunstvollen Wechsel zwischen bellenden Vocals und hohem Klargesang, macht mächtig Stimmung in der Halle und richtet angeregte Worte an das Publikum. Mag der sehr moderne Sound der Schweden bei Old-School-Metallern nicht auf große Gegenliebe stoßen – in Sachen Show gibt es bei Soilwork nichts zu mäkeln.
Was weniger gut aufgeht, ist der Sound von der Bühne. Den ganzen Abend über scheinen die Gitarren untermotorisiert, während Schlagzeug und Gesang deutlich präsent sind. Zuweilen wirkt es, als stünde man auf einem Festivalgelände sehr weit hinten. Dafür ist das Licht stets eine Augenweide, hier spielt das große, moderne Musiktheater seine Trumpfkarte aus.
Sepultura feuern modern verspielten Thrash Metal ins Hamburger Publikum. Sänger Derrick Leon Green, der einzige US-Amerikaner im brasilianischen Line-up, erntet nicht nur mit einigen deutschen Ansagen reichlich Sympathien. Die Ausstrahlung der ganzen Band hinterlässt einen ausgesprochen positiven Eindruck, hier wird mit Leidenschaft gearbeitet. Vor allem die zweite Hälfte des gut einstündigen Sets begeistert mit den Signature-Songs Refuse/Resist und natürlich Roots Bloody Roots; dazu kommen die für den Sepultura-Sound typischen Tribal-Elemente, die archaische Rezeptoren anzusprechen scheinen. Wer da nicht mitgeht, ist selber Schuld.
Platz 1 der deutschen Albumcharts
Wohl aber dem, der sich noch etwas Energie für den Headliner aufgespart hat! Unzählige leere Bierbecher auf dem Boden des Mehr!-Theaters deuten darauf hin, dass ein Großteil der Besucher inzwischen Betriebstemperatur erreicht hat. Die Schlangen an den Bars reißen dennoch nicht ab.
Um halb zehn entern Kreator die Bühne – und spektakulärer als sie kann man Thrash Metal kaum inszenieren: Rauchsäulen steigen auf, Konfetti rieselt in Massen von der Hallendecke, das Licht setzt die vier Musiker brillant in Szene. Immer wieder erscheinen Filmsequenzen auf großen Leinwand-Türmen am Rand der Bühne.
Fast 35 Jahre besteht die Band aus Essen und man ist in wechselnden Besetzungen durch Höhen und Tiefen gegangen. Mit dem frisch veröffentlichten bombastischen Gods of Violence belohnen sich Kreator erstmals mit Platz 1 der deutschen Albumcharts. Umso erstaunlicher, dass das Konzert mit älterem Material losgeht, der Uralt-Klassiker Phobia erklingt an zweiter Stelle. Frontmann Mille hält sich zunächst nicht mit Ansagen auf, richtet erst nach mehreren Songs das Wort ans Hamburger Publikum und bedankt sich für die Unterstützung durch die Fans, ohne die das nicht möglich sei. Niemand will da widersprechen.
Mit unbarmherziger Energie brettern sich Kreator durch ihr Set, das im weiteren Verlauf natürlich stark von Gods of Violence geprägt ist. Wer irgendwie in der Lage ist, mit der Kreissägen-Stimmlage von Mille mitzuhalten, schindet seine Kehle und schreit Songs wie Phantom Antichrist, World War Now, Violent Revolution und Flag of Hate herzhaft mit. Anderthalb Stunden geben Kreator und das Publikum Vollgas und lassen allen negativen wie positiven Gefühlen freien Lauf. Es bleibt allerdings friedlich, höchstens mit Ausnahme der gigantischen, von der Band errichteten Wall of Death – das Publikum wird geteilt, beide Hälften rennen auf Kommando aufeinander zu.
Die Songs und Texte von Kreator sprechen eine deutliche Sprache, so auch auf Gods of Violence. Als eine der wenigen Metal-Bands nimmt man kein Blatt vor den Mund, was politische Statements, beispielsweise Bekenntnisse gegen Homophobie und totalitäre Regimes, angeht. Doch davon ist heute – im Gegensatz zu früheren Tagen – auf der Bühne wenig zu spüren. Mit keiner Silbe nimmt Mille, der sonst um klare Kante nicht verlegen ist, Bezug auf die aktuelle Lage in Deutschland und der Welt. Party hard ist die Devise. Schade, dass gerade in diesen Zeiten die Chance ausgelassen wird, Zehntausende Fans mit direkten Botschaften zu erreichen.