Lesezeichen
‹ Alle Einträge
My Brightest Diamond

Erst elfengleich, dann wie ein Troubadour

 

Emo-Indie-Artrock, progressiv, ohne Wenn und Aber: Sängerin Shara Worden von My Brightest Diamond beeindruckt in Hamburg – und könnte bald ihren ersten Hit landen.

Sängerin Shara Worden.
Sängerin Shara Worden.

Als sich beim Reeperbahnfestival 2007 morgens um eins wenige versprengte Zuschauer vor der Knust-Bühne einfanden, um kurz zu checken, wer oder was My Brightest Diamond vielleicht sein könnte, fiel ihnen alsbald die Kinnlade herunter. Die Meisterschaft, in der die kleine, dunkelhaarige Sängerin und Gitarristin Shara Worden und ihre männlichen Mitmusiker den avantgardistischen Emo-Indie-Artrock des Debütalbums Bring Me The Workhorse abfeuerten, verblüffte damals komplett. Abenteuerliches Gitarren-Tuning à la Joni Mitchell, sirenenhafter Gesang quer durch alle Oktaven. Ultratighte Band, extremer Lärm und ganz leise Töne, man kam aus dem Staunen nicht hinaus. Dennoch hatte man das Gefühl, Shara Worden bliebe noch weit unter ihren Möglichkeiten.

Nun, sieben Jahre später, hat My Brightest Diamond wieder im Knust gespielt. Diesmal immerhin vor gut 70 Zuschauern. Gerade hat die Band ihr viertes Album herausgebracht, This Is My Hand heißt es. Stumpf ist Trumpf, das hat sich Shara Worden wohl gedacht. Stromlinienförmiger klang die aus Arkansas stammende Musikerin nie – natürlich nur im Vergleich zu sich selbst.

Bisher konnte man sie interessant finden und unglaublich gekonnt, sie war aber auch irgendwie stilübungshaft, eigenartig und etwas anstrengend. Mit Parallelen zu Björk oder Kate Bush, zwei zweifellos unglaublich talentierten Künstlerinnen. Aber: Diese haben trotz all ihrer Experimentierfreude auch einige Hits gelandet. Genau daran scheint nun auch Worden gearbeitet zu haben.

Tatsächlich führen minimale R&B-Anteile bei ihrem Konzert zum Fußwippen. Mitsingen jedoch bleibt schwierig. Für Bruce-Springsteen-Sozialisierte ist selbst Pressure, einer ihrer eingängigsten Songs, rätselhaft. Er ist so wenig einprägsam wie die versponnene Musik des Amerikaners Sufjan Stevens, Wordens früherem Arbeitgeber. Als Bandmitglied zur Zeit seiner Erfolgsplatte Come On Feel The Illinoise entwickelte die studierte Opernsängerin (!) die Idee für ihr eigenes Projekt.

Im Knust steht Worden diesmal mit zwei US-Amerikanern auf der Bühne, beide echte Cracks. Der Wunderdrummer Earl Marvin trommelte schon für Robbie Williams, die Pet Shop Boys und Air. Wie er die komplizierten Stops und Rhythmuswechsel von Pressure, dem Eröffnungsstück, völlig unbeeindruckt aus seinem Minischlagzeug zaubert, ist schlicht genial. Der andere, Fontaine Burnett, groovt bei komplexesten Bassfiguren und drückt nebenbei noch lässig auf Keyboardtasten. Er ist schon mit Musikern wie Wynton Marsalis, Chaka Khan oder Max Herre aufgetreten. Er lebt übrigens seit Jahren nordwestlich von Hamburg in Tornesch.

Shara Worden selbst wechselt zwischen diversen Keyboards, verzerrter E-Gitarre und elektrischer Kalimba. Sie singt bald elfengleich mit Kopfstimme, bald wie ein Troubadour aus voller Kehle. Jeder Ton sitzt. Das Publikum giert danach, mitgenommen zu werden, will es mitklatschen, muss es aber etwa bei dem neuen Stück Lover Killer erstmal einen 7/8-Takt begreifen. Nach brachialem Rock kommt unvermittelt das unglaublich sanfte I Have Never Loved Someone, ein Lied für Wordens kleinen Sohn Constantine. Man könnte nun eine Stecknadel fallen hören – würde der Knust-Barkeeper nicht seinen Kühlschrank mit klirrenden Bierflaschen auffüllen.

Der Abend bietet fremdartiges Entertainment auf allerhöchstem Level — verdammt anspruchsvoll, unglaublich fokussiert, progressiver Artrock ohne Wenn und Aber. Lässig und mit Humor vorgetragen. Fever von Peggy Lee hat man zum Beispiel durchaus schon einige Male gehört — aber selten so cool wie in Wordens Coverversion. Sie klettert dabei von der Bühne und illustriert den Songinhalt, indem sie Umstehenden die Rollen zuweist: „Captain Smith and Pocahontas/ Had a very mad affair/ When her daddy tried to kill him/ She said, ’Daddy don’t you dare’/ He gives me fever!“ Sehr, sehr lustig!

Die letzte Zugabe, eine weitere Coverversion, trägt sie allein vor: Feeling Good, ein Blues aus dem Musical The Roar of the Greasepaint – The Smell of the Crowd, bekannt vor allem in Nina Simones Version von 1965. Sie flirrt und schwebt, sie lässt die Stimme über der drone-artig rückkoppelnden Gitarre vibrieren wie Buffy Sainte-Marie, die indianischstämmige Singer-Songwriterin vergangener Tage. Das Publikum ist beseelt, Shara Worden ebenfalls, laut lachend beendet sie das Stück. Es ist bis heute eine der bekanntesten My Brightest Diamond-Aufnahmen.

Damit auf ihren Konzerten in Zukunft neben stoppelbärtigen, älteren Herren mit gutem Musikgeschmack auch Kunststudentinnen erscheinen, die ebenso fantasievoll frisiert sind wie die Künstlerin selbst, muss sie nur noch den nächsten Schritt machen: Shara Worden braucht ihren ersten eigenen Hit.