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FC St. Pauli

Der Winterschlaf ist vorbei

 

St.-Pauli-Fans sind mit einem Banner im Spiel gegen Dresden weit über die Grenzen des Anstands hinausgegangen. Die Aktion zeigt aber auch: Die Politik ist zurück.

In Hamburg herrschen Minustemperaturen – doch davon merkt man beim FC St. Pauli gerade nicht besonders viel. Sportlich wie politisch.

Am Freitag hatte das Präsidium um den Vorsitzenden Oke Göttlich eine Stellungnahme zu der energisch diskutierten Nähe des US-Ausrüsters Under Armour zu Donald Trump abgegeben. Under Armour ist wegen seines etwas martialischen Images in der Fanszene ohnehin umstritten. Nun forderte Göttlich den CEO des Ausrüsters, Kevin Plank, auf, dass er im Sinne der Partnerschaft mit dem Verein seine Aussage, Trump sei ein „Asset“ für die USA, überdenke. Göttlich befand in Anlehnung an einen Marken-Claim des Unternehmens, dass „der Spruch ‚Protect Our House …‘ auch für den FC St. Pauli und dessen Werte“ gelte. Ein Statement, das es sogar in namhafte US-Medien wie die Washington Post schaffte und im Verein heiß diskutiert wurde.

Wie sehr auf St. Pauli die politischen Debatten gerade heiß laufen, konnte man auch am Sonntag beim Heimsieg gegen Dynamo Dresden beobachten. Auf der Südtribüne war ein Banner zu sehen, das politisch provozieren sollte, durch seine Formulierung aber besonders verletzend wirkte.

St. Paulis Ultras hatten in Anspielung auf einen in Sachsen und besonders in Dresden verbreiteten Opfermythos und kurz vor dem 72. Jahrestag der Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945, die gegnerischen Ultras mit der Aussage adressiert „Schon eure Groszeltern haben für Dresden gebrannt – gegen den doitschen Opfermythos“. Damit schoss man deutlich über die Grenzen des Anstands hinaus.

Der FC St. Pauli hat sich darauf umgehend auf seiner Homepage beim Dresdner Gast entschuldigt. Allerdings hat man genauso darauf hingewiesen, dass die politische Artikulation im Stadion gewollt ist und der Verein „einen kritischen Umgang mit der deutschen Geschichte ausdrücklich begrüßt und fordert“.

Unabhängig von ihrer Bewertung zeigen diese Vorgänge daher auch, dass der FC St. Pauli und seine Diskurse aus dem Winterschlaf erwacht sind. Wie die Mannschaft auf dem Rasen spielt die politische Fanszene des Kiezclubs ein aggressives Pressing, das nicht nur die Vereinsoffiziellen, sondern auch die Öffentlichkeit in ihren Komfortzonen unangenehm zwickt.

Der DFB ermittelt inzwischen gegen den FC St. Pauli, schon sind erste Forderungen zu hören, dass zur Strafe die Südtribüne am Millerntor, analog zur Südtribüne in Dortmund, für ein Spiel geschlossen wird. Der FC St. Pauli wird eine Strafe wohl stoisch hinnehmen, wie schon in der Vergangenheit geschehen. Sie sind unvermeidliche Begleiterscheinung eines ernsthaften politischen Diskurses, der beim FCSP wieder aufflammt und seit Jahrzehnten Teil des Vereins ist.

Ich hoffe, dass die Kritik an den Ultras nicht alte Gräben aufreißt und Ressentiments bestärkt, sondern vielmehr die Kreativität St. Paulis beflügelt. Vielleicht kehrt dann die so lange vermisste, feine Ironie ans Millerntor zurück, damit unlautere Übertreibungen und Verletzungen ausbleiben.

Immerhin ist ja bald Frühling.