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Stille Revolution

 

Hamburg hat wieder einen Schritt zu direkter Demokratie vollzogen. Die Volksgesetzgebung wird zur Waffe im Parteienstreit

Im Aufmerksamkeitsschatten des Hamburger Olympiaerfolgs vollzieht sich eine stille Revolution: Wieder hat das Land einen Schritt auf dem Weg zur direkten Demokratie vollzogen. Die Olympiabewerbung, wenn es sie geben sollte, wird kein Regierungsprojekt sein, auch keines der Bürgerschaft. Beschlossen hat das Parlament lediglich, diese Frage den Bürgern zur Entscheidung vorzulegen.

Fragen statt Entscheiden, Regieren durch Moderieren – den neuen Rollen von Regierung und Parlament entspricht ein veränderter Politikstil. Schon im Konflikt um die Energienetze hat sich das angedeutet: Damals hat die SPD-Regierung zwar Position bezogen, sah sich aber lediglich als Teilnehmer der Debatte. Die Grünen haben diese Art der Politikgestaltung schon zum Programm erhoben: Ihre wichtigsten Vorhaben, erklärten sie im Wahlkampf, wollten sie als Regierung nicht durchsetzen, sondern lediglich zur Volksabstimmung stellen.

Womöglich ist dies die angemessene Reaktion auf die veränderte Lage. Anhänger einer repräsentativen Demokratie mögen den Machtverlust des Parlaments beklagen. Aber weg ist weg, ändern lässt sich das nicht mehr.

Ein Resultat des veränderten Politikverständnisses ist der Friedensschluss zwischen der entstehenden Koalitionsregierung und den Gegnern der Busbeschleunigung. Die politischen Kosten eines Dauerkonflikts um einzelne Straßenbäume oder »Sprunginseln« überwiegen bei Weitem den Nutzen, den die Sozialdemokraten zu erzielen hofften, als sie den Fachplanern freie Hand ließen.

Allerdings hat auch die Opposition ihre Methoden der veränderten Lage angepasst. Die Volksgesetzgebung ist zur Waffe im Parteienstreit geworden. Es war ja nicht allein der Einsatz einiger Bürger aus Winterhude und der Uhlenhorst, der die Gegner der Busbeschleunigung aus der Masse der Verkehrsinitiativen herausgehoben und zum Akteur im Kampf um politische Macht gemacht hat. Ziemlich ungeniert, und in der Sache nicht ganz falsch, hat die Hamburger CDU die vermeintliche Bürgerbewegung zu ihrer eigenen erklärt. »Die maßgeblich von der CDU unterstützte Volksinitiative Stopp des Busbeschleunigungsprogramms war bislang ein großer Erfolg«, verkündete der Alsterdorfer CDU-Vorsitzende Kai Debus, als dank kräftiger Unterstützung des Landesverbands die für eine Volksinitiative erforderlichen 15.000 Unterschriften beisammen waren.

In der Sache ist gegen diese Art von Parteiarbeit wenig einzuwenden. »Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit«, so steht es im Grundgesetz – warum nicht auch durch Volksinitiativen? Allerdings widerlegt die neue Konstellation die blauäugige Sichtweise, die unter Anhängern der direkten Demokratie vorherrscht. Nein, die Volksgesetzgebung ist kein Instrument zur Entmachtung des »Parteienstaats«. Die alten Rechts-links-Konflikte kehren in neuer Gestalt wieder, sei es im Streit um die Primarschulen, die Energienetze oder zuletzt um die Busse. Und die Parteien mit ihren schlagkräftigen Apparaten sind weiterhin wichtige Akteure.

Festzuhalten bleibt allerdings, dass dieser Einsatz der CDU das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte nicht verhindert hat. Die Konservativen haben sich von diesem Konflikt mehr versprochen, das zeigt sich nun deutlich an ihren enttäuschten Reaktionen auf den Kompromiss.

Und noch etwas bleibt festzuhalten: Die Gegner der Busbeschleunigung gehen aus diesem Konflikt anders heraus, als sie hineingegangen sind. Aus einer Nicht-bei-uns-Initiative mit maßlosen Forderungen und Vorwürfen an die Adresse der Landesregierung ist eine Bewegung geworden, die berechtige Anliegen ihrer Widersacher zumindest zur Kenntnis nimmt. Wer optimistisch auf die neuen Kräfteverhältnisse blickt, kann das auf der Habenseite verbuchen: Bürgerinitiativen übernehmen nicht nur Macht, sondern auch Verantwortung.