Wie ist die EU-Richtlinie zur Weservertiefung zu verstehen? Das Bundesverwaltungsgericht weiß es nicht genau – deshalb muss die Elbvertiefung warten.
Dass man es hinterher vorher gewusst haben will, ist im Journalismus ein gängiges Stilmittel. Im Fall der Elbvertiefung wäre dieser Trick zu offensichtlich, was ärgerlich ist: Was heute geschah, das hätte man vorher zumindest vermuten können.
Heute, Donnerstag, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in der Frage der Elbvertiefung entschieden, zunächst keine Entscheidung zu fällen, sondern eine Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten. Dass dies geschehen könnte, hat die ZEIT auch im Vorfeld des heutigen Tages berichtet. Vor allem aber haben wir Journalisten wie auch unsere Gesprächspartner in der Hafenwirtschaft und bei den Umweltverbänden uns auf die beiden Hauptvarianten des Verfahrensausgangs konzentriert – Elbvertiefung, ja oder nein. Die unangenehme dritte Möglichkeit wurde bloß der Vollständigkeit halber erwähnt: Elbvertiefung, vielleicht – damit werden wir nun noch eine Zeit lang leben müssen.
Unangenehm ist das vor allem für die Hafenwirtschaft, die ihre strategischen Entscheidungen nun noch weiter hinausschieben muss. Lohnt es sich noch, in den Hafen zu investieren? Abwarten.
Ärgerlich an diesem Zustand ist, dass man sich vorher hätte klar machen können, wie wahrscheinlich dieser vorläufige Verfahrensausgang war. Das Leipziger Oberverwaltungsgericht wendet, unter anderem, europäisches Recht an, die sogenannte Wasserrahmenrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates aus dem Jahr 2000. Diese Richtlinie und Fragen ihrer korrekten Interpretation waren im Sommer schon einmal Gegenstand eines ganz ähnlichen Verfahrens, als es um die Fahrrinnenerweiterung der Weser ging. Damals hat das Oberverwaltungsgericht einige Fragen zur Klärung an den Europäischen Gerichtshof verwiesen.
Vom EuGH werden Bauvorhaben in ganz Europa abhängen
Es lohnt, diese Fragen nachzulesen. Wer es tut, der wird sich am Ende fragen, wie man allen Ernstes am heutigen Donnerstag eine endgültige Entscheidung über die Elbvertiefung hat erwarten können. Denn ganz offensichtlich war dem Leipziger Gericht in der Frage der Weservertiefung grundsätzlich unklar, wie die europäische Richtlinie zu verstehen ist, die es nun auch im Streit um die Elbe wieder anwenden soll.
„Die Mitgliedstaaten führen … die notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern“, heißt es in der Richtlinie. Heißt das, Variante a., dass keinerlei Verschlechterung hingenommen werden darf? Oder, Variante b., dass die Verhinderung einer Verschlechterung ein Ziel neben anderen ist, das nach Möglichkeit angestrebt, aber nicht zwingend erreicht werden muss? Diese und ähnliche Fragen wollen die Leipziger Richter vom Europäischen Gerichtshof beantwortet haben. Von der Antwort werden Bauvorhaben in ganz Europa abhängen. Es ist dem EuGH daher kaum zu verübeln, dass er sich etwas Zeit lässt. Die Hamburger Landesregierung hofft auf eine Entscheidung bis zum kommenden Frühjahr.
Wo ein Schaden entsteht, und sei er auch unvermeidlich, müssen offenbar Schuldige gefunden werden. „Schwerwiegende Mängel in dem von Olaf Scholz verantworteten Planungszeitraum führen jetzt zum Stopp der Elbvertiefung“, behauptet die Hamburger CDU. Man kann der Landesregierung manches vorwerfen – nicht aber, dass sie für unklar formulierte Bestimmungen im europäischen Umweltrecht verantwortlich sei. Die Opposition scheint noch nicht ganz auf der Höhe der Debatte zu sein.