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Flüchtlingsunterkünfte

Wut zur Lücke

 

Es gibt zahllose geeignete Orte für Flüchtlingsunterkünfte, haben Nicht-bei-uns-Initiativen stets behauptet. Jetzt zeigt sich: Das war falsch.

Wie viele Grashalme wachsen in Ihrem Vorgarten? Gibt es mehr silberfarbene Autos als schwarze? Stimmt es, dass immer mehr Menschen arm sind?

Manche Fragen lassen sich spontan kaum vernünftig beantworten. Das menschliche Gehirn ist nicht dafür gemacht, große Zahlen richtig abzuschätzen, und wer glaubt, aus alltäglichen Beobachtungen auf eine komplexe soziale Wirklichkeit schließen zu können, oder auch nur auf die statistische Verteilung von Autofarben, der liegt oft schief. Umso einfacher sind wir in solchen Fragen zu manipulieren.

Es gibt in Hamburg reichlich ungenutzte Flächen, auf denen das Land, wenn es nur wollte, zahllose Flüchtlinge ansiedeln könnte – mit dieser These sind zuletzt etliche Bürgerinitiativen in den Kampf gegen die Landesregierung gezogen. Ihr gemeinsames Motto: Warum ausgerechnet bei uns, wenn es doch so viele besser geeignete Orte gibt? Wer das unbedingt glauben wollte, für den fanden sich Anhaltspunkte: hier eine Baulücke, in der sich seit Jahren nichts tut, dort ein Park, den sowieso niemand braucht.

Seit die Protestbewegung sich mit der Bürgerschaft geeinigt hat, ist es im Streit um angebliche Alternativen still geworden. Wie eine Fußnote kommt nun das Ergebnis jener landesweiten Flächensuche daher, die der Senat selbst initiiert hat, um sich der Kontrolle der Öffentlichkeit zu unterwerfen. »Finding places«, ein computergestütztes Suchverfahren, stellte interessierten Bürgern Daten zu einer Viertelmillion Einzelflächen für Planungsworkshops zur Verfügung.

Es war ein Suchverfahren von bemerkenswerter Beweiskraft: In jedem Workshop waren Plätze für die Initiativen der Kritiker reserviert; sie waren eingeladen, und hatten dies auch verlangt, um die Behauptung von den vielen angeblich ungenutzten Flächen zu belegen.


Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Gesa Ziemer, Leiterin des "CityScienceLab" stehen am 15.09.2016 in Hamburg im Rahmen einer Pressekonferenz, auf der die Ergebnisse des Projektes "Finding Places" vorgestellt wurden, an einem an einem interaktiven Model. Mit dem Projekt "Finding Places" soll nach freien Flächen für den Bau von Flüchtlingsunterkünften gesucht werden. Foto: Daniel Reinhardt/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Gesa Ziemer, Leiterin des „CityScienceLab“, präsentieren die Ergebnisse des Projektes „Finding Places“. (c) dpa

Was kam heraus? Wenig. 161 Vorschläge machten die Bürger, wobei sie oft den Bau von Unterkünften in Parks oder anderen Grünanlagen anregten. Als halbwegs brauchbar erwiesen sich am Ende ganze sechs Ideen, und ohne Konflikte wird der Bau von Flüchtlingsheimen auch dort nicht abgehen. Schon jetzt sind an einem der neuen Standorte anonyme Protestflugblätter aufgetaucht. Das Motto, wie üblich: Warum gerade bei uns?

Wäre der öffentliche Diskurs rationaler, müssten die Kritiker des Senats nun Fehler einräumen: Ihre These von den vielen angeblich geeigneten Orten hat einer Prüfung nicht standgehalten. Sie war schlicht falsch. Doch die Gegner der Unterkünfte finden Gründe, selbst dieses Resultat noch dem Senat vorzuwerfen. Die öffentliche Standortsuche sei »nichts anderes als Augenwischerei und der Versuch von Rot-Grün, den Menschen Beteiligung vorzugaukeln«, klagt etwa die CDU-Flüchtlingspolitikerin Karin Prien. Warum das? »Die meisten der jetzt als neu vorgestellten Plätze waren bereits von den Bezirken geprüft und als ungeeignet befunden worden.« Ja, hatten Regierungsvertreter nicht genau das stets beteuert: dass ihre umstrittenen Pläne nicht auf Willkür beruhten, sondern auf einer Beurteilung aller oder jedenfalls fast aller infrage kommenden Flächen?

Das war, wie sich nun zeigt, die Wahrheit – aber eben nur mit einer Viertelmillion Details zu belegen. Gegen eine einfache Lüge kommt eine so komplizierte Wahrheit kaum an.