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Monsieur Trichet als Falke geoutet

 

Endlich konnte Jean-Claude Trichet, der gar nicht mehr so neue Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zeigen, aus welchem Holz er ist. Deshalb war die heutige Pressekonferenz der EZB so interessant. Ich kann nur reportieren: das Holz ist hart, echte Eiche, von bester Bundesbanksorte. Wahnsinn. Das hätte ich dem Franzosen nicht zugetraut. Ich konnte gar nicht so schnell zählen, wie er die Worte „upside risks“ hintereinander gereiht hat. Es waren mit Sicherheit seine am häufigsten gesprochenen Worte. Dabei klingt es immer ganz nett, denn Trichet spricht von „öpside risks“. Bei der Inflation, beim Wirtschaftswachstum und bei den monetären Aggregaten. Überall öpside risks.

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Die EZB hat sich auch unter Trichet noch keinen Zentimeter vom Bundesbankdogma entfernt. Sowie es nach etwas kräftigerem Wirtschaftswachstum ausschaut, lauern hinter jedem Kieselstein Inflationsgefahren.

Dabei ist gegen die heutige Zinserhöhung, die zweite seit Oktober 2000, gar nicht viel zu sagen. Die Leitzinsen waren in jüngster Zeit sehr stimulierend, lagen sie doch real (also abzüglich der Inflation) unter null. Auch jetzt, mit 2,50 Prozent, stellen sie noch keine Bremse für das Wachstum dar. Das Problem sind die künftigen, heute glasklar vorbereiteten, Zinserhöhungen.

Viele Beobachter, mich eingeschlossen, hatten vermutet, dass es der EZB erst einmal darum geht, die negativen Realzinsen zu beheben.
Das ist mit dem heutigen Zinsschritt passiert. Und dann, so dachten wir, werde die EZB dem Wirtschaftswachstum und den Arbeitslosen eine Chance geben und ganz allmählich die Zinsen erhöhen, wenn sich die Output-Lücke zusehends schließe. Aber weit gefehlt. Nach den heutigen Aussagen von Trichet und den neuen Prognosen des EZB-Stabes sieht es ganz danach aus, als wenn die Zinsen rasch in Richtung neutrales Niveau angehoben würden. Und das liegt bei ungefähr 3,50 Prozent.

Deshalb glaube ich, dass der Leitzins am Ende des Jahres bei 3,0 Prozent oder sogar 3,25 Prozent liegen wird, wenn nicht größeres Unheil wie ein Dollarcrash oder ähnliches passiert. Das ist bitter. Denn die Inflationsangst der EZB ist völlig übertrieben. Die Kernrate der Inflation (ohne Lebensmittel und Energie) ist gerade auf das tiefste Niveau seit fünf Jahren gefallen. Nirgends gibt es echten Preiserhöhungsdruck. Die Löhne, die wichtigsten Inflationstreiber, steigen in Euroland so moderat, dass sich auch in Zukunft kein größerer Druck aufbauen wird. Das hätte eine moderate Notenbank, ein vorsichtiger EZB-Chef, ins Kalkül gezogen.

Warum Trichet solange warten musste, um sein wahres Gesicht zeigen zu können? Als er im Herbst 2003 das Amt übernahm, stagnierte Euroland fast, galt die Hauptsorge der Deflation, also einem fallenden Preisniveau. Und sein Vorgänger Wim Duisenberg hatte gerade erst die Zinsen auf das Rekordtief von zwei Prozent gesenkt. Also musste Trichet auf die erste Gelegenheit lange warten. Im Dezember, beim ersten Zinsschritt, war der Franzose noch in der Defensive. Heute dagegen, die Konjunkturdaten gaben der EZB im Nachhinein für den Dezemberschritt Recht, haben wir einen munteren Falken erlebt.