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Oh, wie ist das schön

 

So was hat man lange nicht gesehen, so schön. Die Deutsche Wirtschaft wächst kräftig im Vergleich zu den Jammerjahren 2001 bis 2004. Das Wachstumstempo der beiden ersten Quartale liegt bei beeindruckenden drei Prozent. Die Deutsche Wirtschaft wächst nun schon seit fast einem Jahr ansehnlich im Vergleich mit der Zeit seit der Wiedervereinigung. Mit dieser faustdicken Überraschung hat heute Morgen das Statistische Bundesamt aufgewartet. Nicht nur der kräftige Aufschwung im zweiten Quartal mit 0,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal und 2,4 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal des vergangenen Jahres ist eine kleine Sensation.

Die viel größere liegt in der Revision der beiden Vorquartale. Anstatt 0,0 Prozent Wachstum im letzten Vierteljahr 2005 gegenüber dem Vorquartal heißt es nun plus 0,3 Prozent. Anstatt plus 0,4 Prozent im ersten Quartal 2006 gegenüber dem letzten 2005 heißt es nun plus 0,7 Prozent! Auf gut Deutsch: Die Wirtschaft hatte bereits mehr Schwung als die offiziellen Zahlen es nahe gelegt haben. Damit haben die wenigen Konjunkturoptimisten Recht behalten.

BIP Wachstum Deutschland 2Q06

Eine kleine Anleitung zum Mitfeiern oder Tipps für den Partyplausch:

  1. Überraschen Sie ihre miesepetrigen und pessimistischen Freunde („Deutschlands Wirtschaft ist verkrustet“) mit dem Einwurf, Deutschland wachse schneller als Amerika. Ja, so ist das. Die Amis annualisieren ihre Wachstumsraten und bringen es so im zweiten Quartal auf 2,5 Prozent. Was sind 0,9 Prozent aufs Jahr hochgerechnet? Na, 0,9 mal vier, macht 3,6 Prozent. Und schnattern Sie gleich, die offenen Münder vor Augen, das gelte auch für das „Alte Europa“. Italien, Frankreich und Deutschland hängen Amerika ab, übrigens auch Japan. (ist bislang zwar nur ein Quartal, aber in der kurzlebigen Zeit, muss das gefeiert werden).
  2. Lachen Sie höhnisch, wenn Ihre Gesprächspartner das tolle Wachstum im zweiten Quartal auf die WM schieben. Die WM hat höchstens ein Neuntel dazu beigetragen, also 0,1 Prozentpunkt, schätzt Hoger Schmieding von der Bank of Amerika. Ich widerspreche nicht.
  3. Lachen Sie schallend, wenn einer behauptet, das liege an Angela Merkel und ihren Superministern. Das beste, was diese Koalition getan hat, war, dass sie Ende vergangenen Jahres nichts getan hat. Das war immerhin besser, als die Kürzungs- und Steuererhöhungsorgie, die Deutschland nächstes Jahr bevorsteht und aus dem ansehnlichen Wachstum ein bescheidenes machen dürfte.
  4. Schütteln Sie mit dem Kopf, wenn ein kluger Gesprächspartner das Wachstum mit den Vorzieheffekten der Mehrwertsteuererhöhung relativieren will. Das ist ein Argument für das vierte Quartal. Im zweiten gab es höchstens bei den Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser einen positiven Effekt, den man auf die Mehrwertsteuer zurückführen kann.
  5. Sie, als kritische Leser von HERDENTRIEB, verweisen auf die Kreditvergabe, die seit April vergangenen Jahres wieder angezogen hat, weil die Banken ihre restriktive Vergabepolitik leicht gelockert haben, weil die Firmen soviel verdient hatten, dass sie mit dem Sparen, alias Schuldenzurückzahlen aufgehört haben und wieder zu investieren begonnen haben.
  6. Steigen die Investitionen, folgen neue Arbeitsplätze von ganz alleine. Genau das erleben wir gerade. Die Beschäftigung nimmt zu und deshalb nimmt auch der private Verbrauch zu. Da kommt ein größerer Teil des Wachstums her.
  7. Natürlich ist Deutschland noch Exportweltmeister und profitiert weiterhin von der regen weltweiten Nachfrage nach Maschinen made in Germany.
  8. Der wichtigste Treiber aber ist wahrscheinlich der Bau gewesen, das wahre Sorgenkind der deutschen Volkswirtschaft (detaillierte Zahlen gibt das Amt erst am 24. August raus, so dass die Aufteilung der Wachstumstreiber vage bleiben muss). Seit 1995 hat dieser Sektor mehr als eine Millionen Stellen gestrichen und das Wachstum Jahr für Jahr im Schnitt mit 0,25 Prozent belastet (ebenfalls eine Schätzung von Schmieding). Jetzt scheint die Trendwende geschafft. Der Bau zieht nichts mehr vom Wachstum ab, die ökonomisch völlig verkehrt gestaltete Wiedervereinigung ist ausgeschwitzt. Der Bau zieht wieder an, ob es der Bau von Fabrikhallen, Bürogebäuden, Straßen oder Häusern ist.
  9. Die wichtigste Erkenntnis des Tages: die Binnennachfrage ist zurück, der Export nicht mehr ganz so wichtig. Das ist ein glücklicher Umstand, angesichts des sich in Amerika abschwächenden Wachstums. Problematisch nur die Große Koalition, die nächstes Jahr die Binnennachfrage abzuwürgen droht.

Geben Sie sich heute Abend kenntnisreich und wagen die Prognose, dass Deutschland zumindest dieses Jahr um mehr als zwei Prozent wächst. Damit sind Sie noch ein, zwei Tage in der Minderheit. Aber schon in den nächsten Tagen wird es Hochstufungen regnen. Dafür sorgt die Arithmetik, vor allem der bessere Start ins Jahr 2006. Die Bank of Amerika und die HypoVereinsbank haben heute Morgen schon angedeutet, dass Sie ihre Prognosen von 1,8 bzw. 1,8 Prozent auf über zwei Prozent werden anheben müssen. HERDENTRIEB bleibt bei „zwei Prozent plus“, wie seit Mitte November und feiert den Gewinn der ersten Halbzeit.