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Die Demontage der Geldmenge

 

Ist die Europäische Zentralbank im Innersten doch avantgardistischer als ich zu hoffen vermochte? Die 4th ECB Central Banking Conference mit dem schönen Titel „The role of money: money and monetary policy in the twenty-first century” war auf jeden Fall ein Hochgenuss – und eine Demontage der Geldmenge. Und das alles nur fünf Monate nach dem Abgang von Otmar Issing, dem ideologischen Schwergewicht der ersten acht Jahre Euro. Die erste Schlappe musste Issing allerdings schon im Mai 2003 einstecken, als die Geldmenge von der ersten Säule zur zweite Säule degradiert wurde. Auch damals habe ich bereits gejubelt.

Ich wette, dass in den kommenden Tagen und Wochen eine neue Schlacht um Sinn und Unsinn der Geldmenge als Inflationsindikator toben wird. Hier vor allem die deutschen Ökonomen und die Bundesbank, die seit den 70er Jahren treu und fest zu einem wie auch immer gearteten Geldmengenaggregat stehen. Dort die modernen Ökonomen, die nichts gegen die Geldmenge aus ideologischen Gründen haben, aber ganz pragmatisch schon lange eingesehen haben, dass man aus der Geldmenge keine Rückschlüsse auf die künftige Inflation ziehen kann. Zumindest keine Rückschlüsse von unmittelbarer Relevanz. Langfristig mag der Zusammenhang halbwegs gesichert sein. Aber langfristig sind wir alle tot. Für die monatlichen Zinsentscheidungen ist die Konjunktur wichtiger, sind Outputlücken, Lohnentwicklungen und Frühindikatoren über die Stimmung unter Unternehmen und Verbrauchern relevanter.

Zwei Paper, die auf der Konferenz vorgetragen worden sind, sind sehr lesenswert. Zum einen das Papier der EZB-Forschungsabteilung selbst unter Lucrezia Reichlin. Es zeigt zum einen, dass sich die EZB in den acht Jahren ihres Bestehens fast ausschließlich an der ersten Säule, den Konjunkturindikatoren, bei ihren Zinsentscheidungen orientiert hat. Und es zeigt, was für die künftige Debatte noch wichtiger sein wird, dass die Geldnachfrage instabil ist. Dass die EZB das freimütig einräumt – endlich, möchte man hinzufügen – ist der eigentliche Todesstoß für die monetäre Säule. Auch schön, der Satz, den Reichlin aussprach, als sie sich mit massiver Kritik aus dem Publikum am Geldmengenkonzept der EZB ausgesetzt sah. „Wir haben in dem Paper dargestellt, wie die EZB in den vergangenen Jahren Geldpolitik gemacht hat, nicht, wie die EZB Geldpolitik machen sollte.“ Das saß.

Das andere Paper, das im Publikum auf sehr viel Beifall stieß, kam von Michael Woodford von der Columbia University. Er zeigte ziemlich klar, dass die Verschmelzung der beiden Säulen der EZB die einzig sinnvolle Alternative ist. Dieser Meinung schlossen sich aus dem Publikum die Weltelite der monetären Forschung an. Etwa Ben Friedman aus Havard, Lars Svensson aus Princeton, Jordi Galí (Pompeu Fabra) sowie Harald Uhlig (Humboldt Uni). Willem Buiter, ehemaliges Mitglied im Rat der Bank of England und heute Professor an der LSE konstatierte: „Diese Sitzung war verheerend für die Trennung der beiden Säulen der EZB.“

Als beim großen Dinner am Donnerstag Abend auch Lucas Papademos, der EZB-Vize, die Verschmelzung beider Säulen in Aussicht stellte, wenn die neuen Modelle der EZB beides, Konjunktur- und Geldmengenindikatoren integrieren könnten, da war mir klar, dass die Ära Issing endgültig beendet war.

Issings Erbe teilen sich nämlich Papademos (Forschung) und Jürgen Stark (Volkswirtschaft). Schade, dass niemand das Gesicht von Stark fotografiert hat, als Papademos den Satz mit der Zusammenlegung der Säulen im Beisein aller Konferenzteilnehmer, einschließlich Ben Bernanke, dem Fed-Chef, aussprach: Stark fiel die Kinnlade herunter. Ehrlich.

Auch als ich Axel Weber, den Bundesbankpräsidenten, am nächsten Tag im Publikum poltern hörte, dass die Konferenz ja einen viel zu engen Fokus habe, spürte ich, dass die Revolution wahrscheinlich nicht mehr zu stoppen ist. Pech für Weber, der als einer der Fünf Weisen, im Sachverständigengutachten 2003 (S. 403ff.) die Trennung der Säulen noch stark kritisierte, jetzt aber als Bundesbankchef konvertiert ist und sich zu einem glühenden Verfechter der Geldmengensäule gewandelt hat. Wäre er mal seiner Linie treu geblieben.

Was ich nicht genau weiß, ist, wie die Position von Jean-Claude Trichet aussieht. Er schrieb zum Auftakt der Konferenz noch einen großen Beitrag für die FT und FTD, in dem er die herausragende Rolle der Geldmenge in der EZB-Strategie lobte und die von vielen als zu früh kritisierte Zinserhöhung im Dezember letzten Jahres genau mit der Geldmengensäule rechtfertigte. Hinterher ist die Kritik an der frühen Zinserhöhung in Wohlwollen bis Lob umgeschlagen, weil Euroland dieses Jahr überraschend stark gewachsen ist. Auch am Freitag bemühte sich Trichet sichtlich, die Geldmenge zu verteidigen, erzählte von dem erfolgreichen Experiment Euro-Einführung und fragte, ob das nicht das Verdienst von M3 sei. Naja, ein bisschen komisch war diese Argumentation schon. Ein so kritisches Publikum habe er noch nie erlebt, sagte Trichet sichtlich irritiert.

Schön auch die Offenbarung von Christian Noyer, dem ersten Vize-Präsidenten der EZB, der inzwischen Präsident der Banque de France ist. Auch er versuchte irgendwie der Kritiker Herr zu werden und sagte dann sinngemäß Folgendes – ohne die Bundesbank explizit zu nennen: Als wir den Euro eingeführt haben, hatten wir nichts, starteten von Null. Da lag es nahe, das Konzept zu übernehmen, was die erfolgreichen Vorgängerwährungen jahrelang verwendet haben und das am Markt und bei den internationalen Investoren Vertrauen genoss.

Ja, genau so war das. Und deshalb darf auch eine moderne und erfolgreiche EZB ihre geldpolitische Strategie ändern.

Die Konferenz war der Startschuss. In den nächsten Wochen wird eine heiße Debatte in den Zeitungen und unter den Chefvolkwirten der Banken geführt werden und dann wird erstmal Ruhe einkehren. Die EZB wird zunächst so tun, als wäre nichts gewesen, aber hinter den Kulissen wird das Dynamit zusammengetragen, was dann eines Tages die zweite Säule zum Einsturz bringt. Denn mir kann niemand erzählen, dass die EZB eine so kritische Konferenz vorbereitet, nur um alles beim Alten zu belassen. Aber was heißt schon die EZB. Es war Reichlin, die die Konferenz organisiert hat – ihr Chef ist Papademos. Die beiden wussten, was sie taten.

Ich hätte auch schon das Thema für die nächste Konferenz: Wie eng darf man Inflationsziele fassen? Denn es ist jedem pragmatischen Volkswirt klar, dass das EZB-Ziel, nahe, aber unter zwei Prozent, sprich 1,9 Prozent, viel zu eng ist. Mit einem symmetrischen Ziel um zwei Prozent, sagen wir 1,5 bis 2,5 Prozent führe die EZB besser, führe Eurolands Wirtschaft viel besser. Es wäre eine Chance für mehr Wachstum, mehr Jobs und mehr Wohlstand.

Und es wäre das definitive Ende der Herrschaft der Bundesbank über Euroland.

Frau Reichlin, Herr Papademos, bleiben Sie weiter so mutig.

Give growth a chance!