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Auch das noch: Ein Hauch von Stagflation

 

Die amerikanischen Zahlen, die am heutigen Dienstag herauskamen, waren ziemlich alarmierend, jedenfalls auf den ersten Blick. Es liegt auf einmal ein Hauch von Stagflation in der Luft, von schwächerem Wachstum bei steigender Inflation, nachdem die Lohnstückkosten im vierten Quartal mit einer saisonbereinigten Jahresrate von nicht weniger als 6,5 Prozent zugelegt hatten.

Die Fed könnte, wie das auch andere Notenbanken in ähnlicher Lage vermutlich tun würden, über höhere Zinsen nachdenken und der Wirtschaft, die ohnehin lahmt, einen zusätzlichen Dämpfer versetzen, würde sie dem Nachdenken Taten folgen lassen. Hatte nicht Ben Bernanke bei seiner Anhörung vor dem Kongress vor Kurzem noch einmal betont, dass die Inflation immer noch seine Hauptsorge sei? Der Anstieg des Dollars nach der Veröffentlichung der Zahlen zeigt jedenfalls, dass die Marktteilnehmer von einer Zinsanhebung nicht überrascht wären. Kurzfristig gilt ja „negative Inflationszahlen = höhere Zinsen = festere Währung“.

Zunächst ein genauerer Blick auf die Zahlen: die Arbeitseinkommen je Stunde waren im vergangenen Quartal in der nunmehr revidierten Version mit einer Jahresrate von 8,2 Prozent gestiegen, nach 0,6 Prozent im dritten Quartal. Auch wenn man die beiden Quartale zusammenfasst, ergibt sich eine Zuwachsrate von immerhin 4 1/2 Prozent. Da die Verbraucherpreise im vierten Quartal gesunken waren, ergab sich übrigens ein annualisierter Anstieg der Arbeitseinkommen von schlichten 10,5 Prozent je Stunde – in den beiden Quartalen zuvor waren sie allerdings noch gesunken.

Es läuft vor allem bei der Produktivität nicht mehr so schön wie es noch vor ein paar Jahren aussah, als das IT-Wunder deren jährliche Wachstumsrate angeblich auf dauerhafte 3 Prozent gehievt hatte. Jetzt zeigt sich, dass im Jahr 2006 insgesamt nicht mehr als 1,4 Prozent erreicht wurden, womit sich der Abwärtstrend, der seit Mitte 2003 zu beobachten ist, fortgesetzt hat.

Die amerikanische Wirtschaft stößt offenbar immer härter gegen ihre Kapazitätsgrenzen – wie das so ist wenn der Aufschwung in sein sechstes Jahr geht und die Anlageinvestitionen die Grenzen nicht, wie sonst in einem Aufschwung, nach oben geschoben haben. Trotz exzellenter Gewinne und günstiger Aktienkurse – also billigem Eigenkapital – hatten sich die Unternehmen sehr zurückgehalten und bis zuletzt lieber die Arbeitsintensität der Produktion gesteigert als die Kapitalintensität. Die Löhne wurden, genau wie hierzulande, durch die Globalisierung in Schach gehalten. Dadurch vor allem scheint die Produktivität nunmehr allerdings immer schwächer zuzunehmen. Das Produktivitätswunder ist an sein zyklisches, gewissermaßen natürliches Ende gekommen.

Am Arbeitsmarkt sind die Kapazitätsgrenzen nunmehr aber auch erreicht, so dass, Globalisierung hin oder her, Vollbeschäftigung herrscht und die Löhne nun doch kräftig anziehen. Sie gelten bekanntlich als die Nachzügler im Konjunkturzyklus.

Das hatte zur Folge, dass die Lohnstückkosten, also die um die Produktivität bereinigten Löhne, 2006 um nicht weniger als 3,4 Prozent gestiegen waren.

Vergleich der Lohnstückkosten USA - Deutschland

Was wir hier sehen, ist aus deutscher Sicht ganz instruktiv. Im vergangenen Jahr lag die gesamtwirtschaftliche Produktivität bei uns auf Stundenbasis im Durchschnitt um 2,0 Prozent über dem Wert von 2005, und im vierten Quartal war sie saisonbereinigt gegenüber dem dritten Quartal mit einer Jahresrate von 3,8 Prozent gestiegen. Es geht immer flotter aufwärts, was vor allem deswegen möglich ist, weil die Kapazitätsgrenzen, anders als in den USA, offenbar noch weit entfernt sind. Auch hierzulande sind die Investitionen trotz sehr günstiger Rahmenbedingungen noch nicht so richtig in Schwung gekommen, was aber erst mal nicht viel schadet, weil es ja noch diese unterausgelasteten Kapazitäten gibt.

Unterausgelastet ist vor allem auch unser sogenanntes Erwerbspersonenpotential, was sich vor allem daran zeigt, dass die Arbeitnehmerentgelte auf Stundenbasis im Verlauf des vergangenen Jahres nicht nur real, sondern sogar nominal gesunken sind (im vierten Quartal mit einer Verlaufsrate von 1,3 Prozent). Die deutschen Arbeitnehmer haben keine gute Verhandlungsposition, da die Arbeitslosigkeit immer noch außerordentlich hoch ist und, wie gesagt, die Löhne erst gegen Ende eines Zyklus so richtig zu steigen beginnen. Die Lohnstückkosten sinken ziemlich stetig seit Mitte 2003, also dem Zeitpunkt, als der jetzige Aufschwung begann (damals hatte allerdings niemand die Wende so richtig wahrgenommen). Zuletzt lagen sie im Unternehmenssektor um 1,7 Prozent unter ihrem Vorjahreswert und um 6,1 Prozent unter dem vom zweiten Quartal 2003. Kein Wunder, dass die deutschen Ausfuhren brummen wie nie zuvor und unsere Partner in der Währungsunion der Verzweiflung nahe sind.

Zurück zu den USA. Es ist trotz des rapiden Anstiegs der Lohnstückkosten nicht sehr wahrscheinlich, dass die Fed noch einmal, oder noch ein paar mal auf die Bremse tritt. Dazu sind die konjunkturellen Risiken zu groß: Der Immobilienmarkt hat seinen Boden vermutlich immer noch nicht gefunden, in der Industrie brechen die Auftragseingänge ein, die Industrie stagniert seit dem Frühsommer. Gleichzeitig ist die Inflation trotz der Warnsignale vom Arbeitsmarkt nach wie vor sehr zahm: der BIP-Deflator ist im letzten Halbjahr mit einer Jahresrate von 1,7 Prozent gestiegen, die Erzeugerpreise lagen zuletzt nur um 0,2 Prozent über dem Vorjahreswert, und die Verbraucherpreise um 2,1 Prozent. Kein Grund zur Panik also, auch wenn es bei den sogenannten Kernraten etwas ungünstiger aussieht.

Ein Problem könnte es geben, wenn die Ölpreise erneut kräftig steigen. Noch expandiert die Weltwirtschaft mit einer Rate von real rund 5 Prozent, was die Nachfrage nach Öl – und damit seinen Preis – weiter anheizt. Gleichzeitig ist aber davon auszugehen, dass das die Konjunktur dadurch noch fragiler würde, was wiederum bedeutet, dass die Inflation, einschließlich der Lohninflation, über kurz oder lang zurückgehen würde. Amerikanische Notenbanker fühlen sich ja bekanntlich auch dem Beschäftigungsziel verpflichtet und sind in der Lage, einige Quartale im Voraus zu denken.

Auch die weltweite Schwäche der Aktienmärkte spricht dafür, dass die Fed die Zinsen da lassen wird wo sie sind, bei 5 1/4 Prozent, was ja real schon hoch genug ist. Zudem ist der Dollar relativ fest. Für sich genommen hat das ebenfalls einen leicht restriktiven Effekt auf die amerikanische Nachfrage, also die Konjunktur.

Was bedeutet all das für die EZB? Sie wird sich kaum davon abhalten lassen, am Donnerstag die Zinsen auf 3 3/4 Prozent anzuheben und durchblicken zu lassen, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sei – es sei denn, die Aktienmärkte brechen vorher doch noch mal so richtig ein. Aber selbst das scheint die EZB womöglich nicht sonderlich zu beeindrucken, hat sie doch durchblicken lassen, dass sie nichts gegen eine größere Korrektur der Asset-Preise hat: besser jetzt zu günstigen Konditionen als später, wenn es richtig weh tut. Komisch, dass der Euro nicht fester ist! Haben die Yen-Carry Trades womöglich vorwiegend dem Euro gegolten? Und schwächt ihre Rücknahme daher den Euro mehr als den Dollar?