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Colbert im Élysée

 

Nicolas Sarkozy macht sich mit großer Energie und gestützt auf vier erfolgreiche Wahlen daran, Frankreich zu reformieren und wieder in eine dynamische Wirtschaft zu verwandeln. Mehr Wettbewerb und mehr Offenheit gegenüber ausländischen Einflüssen gehören jedoch nicht zu den Rezepten, mit denen er das erreichen will. Ganz im Gegenteil, er möchte das Land vor den Effekten der Globalisierung schützen und Wettbewerb immer dann einschränken, wenn Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Colbert lässt grüßen. Wie kann man im Ernst von Reformen sprechen, wenn man die Wirtschaft weniger effizient macht, oder alles bekämpft, was, wie es in Paris heißt, „trop anglo-saxon“ ist?

Der neue Präsident ist jemand, der als Finanzminister den Joghurtproduzenten Danone aus den Fängen der Amerikaner befreit und den angeschlagenen Industriekonzern Alstom vor der Übernahme durch Siemens gerettet hatte. Augenblicklich geht es darum, Airbus unter nationale Kontrolle zu bekommen, so wie vorher Aventis, oder BNP Paribas und Société Générale sich zu einem weiteren nationalen Champion zusammenschließen zu lassen. Aber auch im Kleinen gibt es eine Aversion gegen Wettbewerb. Wir kaufen in den Ferien oft bei Lidl in Narbonne ein: Es gibt dort ein reichhaltiges Angebot an Weinen, aber keine einzige Flasche kommt aus dem Ausland. Den heimischen Weinbau gilt es schließlich zu erhalten. Oder: Bis vor einigen Jahren gab es praktisch keine japanischen Autos; seitdem Renault Nissan übernommen hat, hat sich das schlagartig geändert, vermutlich als Teil eines Deals auf politischer Ebene.

In Frankreich ist ein Konservativer nicht jemand, der in der Wirtschaftspolitik vor allem auf die Marktkräfte setzt. Protektionistische Maßnahmen kommen offenbar bei den Wählern gut an, obwohl eigentlich ziemlich klar ist, dass das niedrige Wachstum, der ständige Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit nicht zuletzt darauf zurückzuführen sind, dass sich das Land abschottet, wo es nur kann, und Strukturen zu erhalten versucht, die längst auf den Prüfstand des Marktes gehörten. Wir kennen das auch aus Deutschland – die Stichworte sind unter anderem Entsendegesetz und Beschränkung der Zuwanderung aus den östlichen EU-Ländern -, aber in Frankreich gehört es geradezu zum guten Ton, nach dem Staat zu rufen, wenn es in einzelnen Branchen oder großen Unternehmen mal nicht gut läuft.

Im bisherigen Entwurf des neuen Europavertrags hieß es noch, dass es ein Ziel der EU sei, „einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ zu schaffen. Auf französisches Drängen befindet sich in der neuen Fassung jetzt ein Punkt hinter dem Wort „Binnenmarkt“. Wie dieser aussehen sollte, das wird offen gelassen. In ihrer Naivität hat sich Frau Merkel wohl breitschlagen lassen – hat sie auch was dafür bekommen? Was für wirtschaftpolitische Berater hat sie eigentlich?

Es ist zu befürchten, dass demnächst vor europäischen Gerichten den ausdrücklich genannten Vertragszielen Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt Vorrang eingeräumt wird, der Wettbewerb oder der Strukturwandel also beschränkt werden kann, wenn wieder einmal Arbeitsplätze bei dem einen oder anderen großen Unternehmen auf dem Spiel stehen. Ein Binnenmarkt kommt ja in der Tat auch mit wenig Wettbewerb aus. Es gibt dann zwar keinen optimalen Einsatz der Ressourcen, aber wer ist schon in der Lage, das langsamere Wachstum der Produktivität und des Wohlstands damit in Zusammenhang zu bringen. Es wird als Erfolg ausgegeben, wenn es den Politikern erleichtert wird, bei Bedarf populistischen Forderungen nach weniger Wettbewerb nachzugeben. Vive la France!

Im Übrigen ist Monsieur le Président überzeugt, dass wir eine tendenziell expansivere Geldpolitik und einen schwächeren Euro brauchen. Die unsinnige Fokussierung auf Preisstabilität habe letztlich Wachstum und damit Jobs gekostet und so zur gegenwärtigen wirtschaftlichen Malaise beigetragen. Die EZB solle mehr auf das Wachstumsziel verpflichtet und insgesamt stärker an die Kandare der Eurogroup, sprich der französischen Technokraten genommen werden.

Originalton Sarkozy: „Wir sollten nicht die einzige Volkswirtschaft der Welt sein, die ihre Währung nicht in den Dienst des Wirtschaftswachstums stellt. … Alle anderen, die Chinesen, Japaner, Engländer und Amerikaner streben einen Wechselkurs an, der das Wachstum fördert.“ Es ist zu hoffen, dass das nur Wahlkampfgetöse und nicht so ernst gemeint war, zumal es ja auch nicht stimmt, was da gesagt wird. Die Briten erhöhen ständig ihre Zinsen, um die Inflation der Verbraucher- und der Assetpreise in den Griff zu bekommen, aber doch nicht, um das Pfund zu schwächen und die Wirtschaft zu stimulieren. Die Amerikaner betreiben ganz sicher keine Wechselkurspolitik, unter anderem deswegen, weil sie die profitable Rolle des Dollar als Reservewährung nicht aufs Spiel setzen wollen. Und die Japaner intervenieren seit Jahren nicht mehr – ihnen ist der Yen eher zu schwach, der Export im Vergleich zur Binnennachfrage zu stark, und die Inflation zu niedrig. Auch sie erhöhen die Zinsen, tun also etwas gegen die Abwertung. Nur die Chinesen, das ist richtig, halten den Renminbi durch Dollarkäufe künstlich niedrig, damit ihr wirtschaftlicher Aufholprozess nicht gefährdet wird. Ich fürchte allerdings, dass Sarkozy es so meint wie er es sagt.

Die EZB kann sich jedenfalls auf Einiges gefasst machen. Es geht um nicht weniger als um ein anderes Mandat. Ich bin ja meistens auch für eine expansivere Geldpolitik, aber ich denke doch, dass dafür nicht der institutionelle Rahmen verändert werden müsste. So hartleibig sich die EZB auch geben mag, ich habe doch den Eindruck, dass sie die Diskussion ihrer Politik aufmerksam verfolgt und Argumenten zugänglich ist, vor allem wenn sie aus Frankreich kommen. Insgesamt ist die Geldpolitik in den vergangenen Jahren akkommodierend gewesen und ändert die Richtung nur sehr behutsam. Wir haben doch zur Zeit beides: kräftiges Wachstum und niedrige Inflation. Frankreichs Probleme sind weder der starke Euro noch die hohen Zinsen, sondern der Mangel an Wettbewerb und, vermutlich, das miserable Schulsystem.