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Panik an den Geldmärkten, gelassene Aktionäre

 

Kann es angehen, dass die Banken sich gegenseitig so wenig trauen und sich so große Sorgen um ihre Zahlungsfähigkeit machen, dass sie ihr Geld horten und auch nicht durch attraktive Zinsen dazu zu bewegen sind, es zu verleihen, während andererseits die Aktienkäufer glauben, dass die Notenbanken durch die Kombination von niedrigen Zinsen und reichlich Zentralbankgeld eine Rezession verhindern werden? Der Geldmarkt hängt in den Seilen, am Aktienmarkt dagegen herrscht Zuversicht.

Wer hat recht? Wer an die Krise glaubt, oder wer alles für lösbar hält und im Übrigen darauf setzt, dass es sich meist lohnt, in dem Moment stärker in Aktien zu investieren, in dem die Fed oder die europäischen Zentralbanken das Ruder herumwerfen? Nur einer kann recht haben. Könnte natürlich auch sein, dass sich alles in Kürze in Wohlgefallen auflöst. Manche Krisen sind gar keine. Allerdings sind die Notenbanken nach wie vor gezwungen, in großem Stil Liquidität in die Märkte zu pumpen. Von Entspannung kann keine Rede sein.

Positivere Zinserwartungen und großzügige Refinanzierungskonditionen haben bis jetzt jedenfalls noch nicht geholfen. Das lässt sich etwa an den Zinsdifferenzen zwischen den wichtigsten Notenbanksätzen und den Interbanksätzen für drei Monate ablesen – sie sind überall nach wie vor ungewöhnlich groß. Ausgedrückt in Basispunkten, liegen sie in der Währungsunion bei 76 (4,76 – 4,00), in den USA bei 47 (5,72 – 5,25), in Großbritannien bei 105 (6,80 – 5,75), in der Schweiz bei 38 (2,88 – 2,50) und in Japan bei 47 (0,97 – 0,50). Für die USA ist vermutlich der Vergleich zwischen dem 3-Monats-Liborsatz und dem Zins auf dreimonatige Treasury Bills aufschlussreicher; die Differenz von nicht weniger als 147 Basispunkten (5,72 – 4,25) zeigt, wie viel Angst die Anleger immer noch haben.

Die Verluste, die weltweit in den letzten Wochen im Finanzsektor aufgelaufen sind, übersteigen laut Fed Chairman Bernankes Analyse, die er in Jackson Hole vortrug, bei weitem die Verluste, die im Gefolge der amerikanischen Subprime-Hypothekenkrise erwartet werden konnten. Die Finanzklemme hat auch alle anderen Märkte für Asset Backed Securities ergriffen, weil niemand weiß, wie riskant diese Papiere denn nun wirklich sind. Daher kommen die Verluste.

Es gibt kaum noch Käufer, obwohl die Preise schon stark gefallen sind. Bisher ging das Spiel so: Lasst uns mal kräftig Kredite vergeben, auch wenn die Schuldner bei genauerem Hinsehen nicht sonderlich solide sind, sie bleiben ja nicht so lange auf der Bilanz, weil wir sie zu Wertpapieren verschnüren können, die dann, mit einem freundlichen Rating von Moody’s oder Standard&Poor’s versehen, an Anleger verhökert werden können. Die Anleger wollen aber nicht mehr mitmachen, weil sie durch die Probleme bei den Schrotthypotheken verschreckt sind, so dass die smarten „financial engineers“ und ihre Arbeitgeber, die großen internationalen Banken, einschließlich der Superstars unter den Investment Banken, auf einmal auf diesen angeblich so soliden Wertpapieren sitzen geblieben sind. Sie müssen sie auf die Bilanzen nehmen und abschreiben. Sie können sie zudem kaum noch über die Schiene „Asset Backed Commercial Paper“ refinanzieren, weil sich auch da die Käufer aus dem Staub gemacht haben. .

Hinzu kommt, dass viele Anleger, vor allem die verschiedenen Hedge Funds und Special Investment Vehicles durch das Austrocknen der Märkte für Asset Backed Securities in Schwierigkeiten geraten sind. Nicht nur, dass sich ihre Performance verringert hat, sie schreiben oft auch große Verluste, da sie sich kräftig verschuldet hatten, damit sich die Sache trotz der relativ niedrigen Zinsen auf Geldmarktpapiere lohnt, und nun durch die unerwartet starken Kursrückgänge entsprechend getroffen wurden. Hebel verbessern den Ertrag, wenn es nach oben geht, und sie führen geradewegs ins Verderben, wenn die Märkte einbrechen. Normalerweise sollten Geldmärkte ja nicht einbrechen – sie tun’s aber manchmal trotzdem, wie wir sehen. There is no free lunch. Wenn die Anleger in diesen Vehikeln die Möglichkeit haben zu kündigen, tun sie das auch. Sie sind vielfach geschockt und versuchen zu retten, was zu retten ist. was wiederum einen Dominoeffekt haben kann, weil die Portfolio Manager verkaufen müssen, was sich verkaufen lässt, um an Liquidität zu kommen. Bei der Zentralbank können sich ja nur Banken verschulden.

Noch ist es nicht zu diesen Dominoeffekten gekommen. Überall wird gebetet und darauf gehofft, dass angesichts der niedrigen, also attraktiven Preise für die Asset Backed Securities nun bald ein Retter mit einem großen Portemonnaie naht, der auf’s Bottom Fishing setzt (ich sollte nicht so viele Anglizismen verwenden – aber das kommt davon, wenn man den halben Tag über nur Englisches zu lesen kriegt). Das wäre die marktwirtschaftliche und eigentlich auch plausible Lösung der Krise. Wenn ich aber eine Menge Geld hätte, würde ich vermutlich noch eine Weile abwarten, weil ich vermute, dass noch Einiges im Busch ist, die Preise weiter sinken könnten. Wer über Bares verfügt kann warten.

In dieser Situation helfen niedrigere Notenbankzinsen schon, aber nur dann, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass sie deutlich und nachhaltig sinken werden. Die Alternativen zu den relativ hoch verzinslichen wenn auch riskanten Asset Backed Securities müssen sich stark verschlechtern. Die Fed ist offenbar auf dem Weg zu einer solchen Sichtweise – am Markt wird erwartet, dass die Fed Funds Rate bis Jahresende um 75 Basispunkte auf 4,5 Prozent sinken wird -, die EZB, die Bank of England oder die Bank von Japan sind noch nicht so weit. Eigentlich dürfte die Kreditklemme daher so schnell nicht überwunden werden.

Das Risiko, dass es noch zu einem echten Ausverkauf aller Wertpapiere kommt, die nicht gerade zu den Witwen- und Waisenpapieren gehören, besteht meiner Ansicht nach weiterhin.

Fragt sich, warum das an den Aktienmärkten nicht so gesehen wird. Die Vorstände der Unternehmen, die es eigentlich wissen müssten, sind zur Zeit auf der Käuferseite zu finden – das heißt, sie halten die Aktien ihrer Unternehmen für unterbewertet und die Krise nicht für wirklich ernsthaft oder dauerhaft. Sehe ich da was falsch? Beunruhigend.

Es gibt in der Tat, wenn man vom amerikanischen und einigen anderen Immobilienmärkten absieht, keine besonderen Anzeichen, dass es zu einer weltweiten Rezession kommen könnte. Die OECD hat gerade ihre Wachstumsprognose für die Industrieländer nach unten revidiert, aber nur um zwei magere Zehntelchen. Auch der Ölpreis klettert munter weiter und nähert sich seinen Rekordständen. Woher der Optimismus? Er stützt sich auf drei zentrale Annahmen: 1) Die Notenbanken werden die Zinsen kräftig senken, und das wird wirken. 2) Der weltwirtschaftliche Expansionsprozess ist wegen des gestiegenen Gewichts Asiens und Osteuropas insgesamt so breit aufgestellt, dass die Probleme der USA, Westeuropas und Japans kompensiert werden können. 3) Die niedrigen Assetpreise werden über kurz oder lang Käufer auf den Plan rufen, die sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollen. Die üblichen Verdächtigen sind die Sovereign Wealth Funds (Chinas, Norwegens, Russlands, Abu Dhabis und so weiter), oder sie hören auf die Namen Warren Buffet oder George Soros. Könnte so kommen, ich glaube es aber nicht.