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Was höhere Zinsen für die Märkte bedeuten

 

Die EZB hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die Zinsen am 3. Juli auf 4,25 Prozent erhöhen wird. Allerdings, das höre ich gerne, wenn auch mit Skepsis, soll das nicht der Startschuss sein für eine ganze Serie von weiteren Zinsanhebungen. Fragt sich, was das Ganze dann soll. Die Botschaft kann ja nur sein, dass sie Gewehr bei Fuß zu stehen gedenkt, also erneut zuschlagen will, wenn die Inflation nicht herunterkommt.

Sie will damit vor allem signalisieren, dass eine weitere Verschlechterung der Inflationserwartungen nicht hingenommen werden soll. Wenn die weiter ansteigen, hätte die EZB ein Glaubwürdigkeitsproblem – sie erklärt ständig, dass das Inflationsziel bei etwas unter 2 Prozent liegt, tut aber nichts, wenn die tatsächliche Inflation, so wie jetzt, 3,6 Prozent erreicht. Reden allein nützt wenig, jetzt, meint sie, sei Handeln angesagt. Sie muss zeigen, dass sie im Kampf gegen die Inflation immer noch Herr im Ring ist und sich die Bedingungen nicht von den Rohstoffmärkten diktieren lassen wird. Ihre eigenen Projektionen zeigen zudem, dass sie erst in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres wieder mit Inflationsraten von etwa 2 Prozent rechnet. Für den Geschmack der EZB ist das zu lang.

Es beunruhigt die EZB sicher auch, dass die Rentenmärkte trotz der vielen Anzeichen einer sich abschwächenden Konjunktur nicht daran glauben, dass die Inflation sinken wird, ganz im Gegenteil. Aus einer inversen Zinsstrukturkurve (bei der die kurzen Sätze höher sind als die langen) ist innerhalb weniger Wochen eine flache Kurve geworden: Die Anleger streiken, das heißt sie wollen eine höhere Entschädigung für das Inflationsrisiko als zuvor. Dabei lassen sie sich nicht davon beeindrucken, dass der Euro tendenziell aufwertet – was ja Bundesanleihen insbesondere für ausländische Anleger attraktiv macht -, und auch nicht davon, dass die finanzielle Lage des Staates so gut ist wie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr.

Die EZB weis auch, dass sie mit dem Verweis auf die viel niedrigere Kerninflationsrate nicht punkten kann. Das Publikum erlebt Tag für Tag, wie die Kaufkraft schwindet, wie man sich immer weniger leisten kann. Da tröstet es nicht, das alles, was unangenehm ist, einfach aus dem Index herausgerechnet wird. Das wäre arg an der Lebenswirklichkeit vorbei.

Also, was werden die 25 Basispunkte bringen? Da das so wenig ist und auch nicht ernsthaft daran gedacht wird, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu dämpfen, schwach wie sie schon ist, werden die realwirtschaftlichen Effekte moderat sein, der Tendenz nach aber negativ. Höhere Zinsen machen Termineinlagen attraktiver und zumindest Überziehungskredite teurer. Das trifft nicht nur die Verbraucher, sondern verteuert auch die Lagerhaltung bei Einzelhändlern, Großhändlern sowie bei produzierenden Unternehmen. All das dämpft die Nachfrage – und damit die Inflation.

Schlimmer ist sicher, dass das Risiko, dass es nicht bei den 25 Pünktchen bleiben wird, gestiegen ist. Die Verbraucher und Unternehmen werden daher vermutlich versuchen, sich längerfristig zu festen Zinsen zu verschulden, das heißt, die Struktur ihrer Schulden zu ändern. Das treibt die langen Sätze weiter in die Höhe und kann der Notenbank als Indiz für steigende Inflationserwartungen dienen, was sie wiederum zum Anlass neuerlicher Erhöhungen nehmen könnte. Konjunktur und Beschäftigung sind die eigentlichen Leidtragenden. Dabei kann man der weitgehend nur importierten Inflation nur beikommen, wenn man eine weltweite Rezession inszeniert.

Der Zinsschritt ist im Übrigen auch ein Signal an die Devisenmärkte, dass die EZB nichts dagegen hat, dass der Euro weiter aufwertet. Ein stärkerer Euro erhöht hierzulande das Angebot an ausländischen Produkten, aber auch das von inländischen, weil die europäischen Exporteure im Ausland nicht mehr so viel verdienen können, der inländische Markt für sie also relativ attraktiver wird. Ceteris paribus, also bei gegebener Nachfrage, senkt dieser Mengeneffekt daher das Preisniveau. Zudem gibt es Preiseffekte, die in dieselbe Richtung wirken: Einfuhren werden billiger, ebenso wie die Exporteure ihre Preise – in Euro gerechnet – senken müssen, was wiederum auf die Erzeugerpreise durchschlägt.

Der feste Euro ist ein wesentlicher Grund, weshalb die Inflation trotz der Explosion der Dollarpreise für Erdöl, Metalle und Nahrungsmittel auf den vorgelagerten Produktionsstufen im Euroraum vergleichsweise niedrig ist. In den USA liegen die Einfuhrpreise um 17,8 Prozent über ihrem Vorjahresniveau, in Großbritannien die industriellen Inputpreise um 27,9 Prozent – während die deutschen Einfuhrpreise „nur“ um 5,6 Prozent gestiegen sind (das günstige Ergebnis ist allerdings teilweise darauf zurückzuführen, dass 40 Prozent der Wareneinfuhren aus dem Euro-Raum kommen). Jedenfalls hat die EZB in der jetzigen Situation ein Interesse daran, dass der Euro nicht nennenswert abwertet.

Auch die amerikanischen Wirtschaftpolitiker haben inzwischen entdeckt, dass der Wechselkurs des Dollar etwas mit der Inflation zu tun hat. Es läuft zur Zeit so etwas wie „beggar thy neighbour in reverse“, eine Art von kompetitiver Aufwertung zwischen den USA und dem Euroraum (gilt komischerweise nicht für China – der Yuan soll vielmehr gegenüber dem Dollar stärker aufwerten!). Die Marktteilnehmer erwarten inzwischen, dass auch für die Fed der nächste Schritt eine Anhebung der Zinsen sein wird. Laut Terminmärkten wird die Fed Funds Rate am Jahresende um 75 Basispunkte höher sein als heute. Ich kann das nicht ernst nehmen, weil darin die implizite Annahme steckt, dass der Aufschwung bereits im nächsten Quartal wieder beginnt. Die volle Wucht des Preisverfalls bei Immobilien beginnt aber erst jetzt die US Konjunktur zu treffen, ebenso wie die dramatische Verteuerung der Energie. Das alles bei steigender Arbeitslosigkeit. So oder so, der Euro ist zur Zeit eher schwach, weil erwartet wird, dass die Amerikaner die Zinsen ebenfalls erhöhen werden, und zwar um mehr als die EZB.

Das kann ja noch was werden – in der sich anbahnenden größten Wirtschaftskrise seit fast 30 Jahren einen Wettlauf um die höchsten Zinsen und die stärkste Währung anzuzetteln. Für die Aktienmärkte ist die Situation jedenfalls sehr negativ. Von der Geldpolitik werden auf absehbare Zeit konjunkturdämpfende Impulse ausgehen. Sie verstärkt die negativen Effekte des festen Wechselkurses, der Finanzkrise und der Ölpreisexplosion.