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Die Verstaatlichungswelle rollt

 

Für eine richtige Bilanz der Finanzkrise, die diese Woche einen weiteren Tiefpunkt erlebt hat, ist es noch viel zu früh, ich versuche aber mal eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die gegenwärtige Krise an den Finanzmärkten ist vergleichbar mit der amerikanischen der Jahre 1929 folgende und der japanischen ab Januar 1990. In beiden Fällen hat es viele Jahre gedauert, bis sich die Wirtschaft davon erholt hatte. Im Grunde ist die japanische noch gar nicht richtig überwunden, und die amerikanische endete erst mit den staatlichen Ausgabenprogrammen des New Deal und des Zweiten Weltkriegs. Interessanterweise hat Robert Shiller in seinem neuen und sehr lesenswerten Buch mit dem Titel „The Subprime Solution“ Parallelen zur Situation in Europa nach dem Ersten Weltkrieg gezogen. „Der Versailler Vertrag … forderte von Deutschland verschärfte Reparationszahlungen, die weit jenseits seiner Zahlungsfähigkeit lagen. … Die starken Ressentiments, die der Vertrag hervorrief, waren einer der Faktoren, die eine Generation später zum zweiten Weltkrieg führten. … Ein vergleichbares Desaster, wenn auch nicht ganz in diesem Ausmaß, braut sich gerade wieder zusammen … Erneut sind breite Bevölkerungsschichten nicht in der Lage, ihre Schulden zu bezahlen und die Gläubiger lassen ihnen keine Ruhe. Erneut haben viele Leute das Gefühl, dass nicht sie sondern andere Kräfte für die Lage verantwortlich sind. Erneut sehen sie um sich herum Institutionen der Wirtschaft zu Grunde gehen, denen sie einst vertraut haben. Und erneut fühlen sie sich durch zu optimistische Geschichten betrogen, die sie ermutigt hatten zu hohe Risiken einzugehen.“ (S. 2f) Shiller sieht den sozialen Zusammenhalt durch die Krise gefährdet und sagt voraus, dass das amerikanische Wirtschaftswachstum auf Jahre hinaus sehr niedrig bleiben wird.

Die Liste der Finanzinstitute, die seit Jahresbeginn in den USA entweder von der Regierung und der Notenbank oder auf deren Drängen von liquiden privaten Käufern gerettet werden mussten, hätte sich noch bis vor kurzem wie das Who is Who des Sektors gelesen: Bear Stearns, Freddie und Fannie, Merrill Lynch, Lehman Brothers, AIG, weiland der größte Versicherer der Welt, oder auch in Großbritanien, die dort führende Hypothekenbank HBOS. Jetzt sind Morgan Stanley und womöglich bald auch Goldman Sachs im Visier der Märkte. Das Investment Banking, wie wir es kannten, ebenso die Immobilienfinanzierung und die Versicherungsbranche, sind dabei zu verschwinden oder in stark geschrumpfter und veränderter Form Unterschlupf beim Staat oder solventen privaten Unternehmen mit „langweiligen“ Geschäftsmodellen zu suchen. Die Masters of the Universe gehen in Rente, und mit ihnen hunderttausend kleinerer Angestellter. Ein einst überdimensionierter Sektor schrumpft auf Normalmaß.

Die Abschreibungen auf die Aktiva der Finanzinstitute waren in jedem der Fälle so hoch, dass ihr Eigenkapital dahin schmolz wie der Schnee in der Sonne. Liquiditätsspritzen der Fed oder niedrigere Zinsen hätten nicht entscheidend geholfen, da es sich in keinem der Fälle um kurzfristige Engpässe, sondern um eine drohende Insolvenz handelte. Zudem gab es wegen der Größenordnung der Institute erhebliche systemische Risiken. Untergehen lassen war bis auf den Fall Lehman keine Option. Erfreulicherweise haben die Aktionäre und Manager einen großen Teil der Verluste tragen müssen. Die Käufer, ob staatlich oder privat, sind daher zu vermutlich sehr günstigen Kursen an die kollabierenden Unternehmen gekommen, so dass sich manche Rettungsaktion später einmal auszahlen dürften.

Das Ganze hatte mit den Subprime-Hypotheken angefangen. Zwar hatten sich immer breitere Bevölkerungsschichten wegen der äußerst laxen Kreditbedingungen erstmals ein eigenes Haus leisten können, was ja erfreulich ist, aber als die Blase dann platzte, die Preise verfielen, die Schulden jedoch blieben, setzte sich eine Todesspirale in Gang: Zwangsverkäufe, weiter fallende Immobilienpreise, Überschuldung der ärmeren Haushalte, Einschränkung des Konsums, schwächere Konjunktur, Verlust von Arbeitsplätzen, noch mehr Notverkäufe, Untergang von Hypothekenbanken, und so weiter. Das eigentlich Erstaunliche ist, dass die US Konjunktur anscheinend noch so robust ist.

Auf den Subprime Mortgages (zweitklassige Hypotheken) wurde bis zum Jahr 2006 eine ganze Pyramide von handelbaren abgeleiteten Finanzkonstrukten aufgebaut, wobei in vielen Fällen das Kunststück gelang, durch Bündelung aus Forderungen, die alles andere als gesund waren, hoch bewertete Papiere zu machen. Da sie eine deutlich höhere Rendite abwarfen als Staatspapiere, waren sie lange Jahre echte Renner. Viele sogenannte Financial Engineers, Rechtsanwälte, Händler und Manager wurden reich dabei. Das Problem war, dass am Ende niemand so recht wusste, wo die wirklichen Risiken lagen. Wie kann es gehen, dass alle nur gewinnen, ohne dass es irgendeine zusätzliche Wertschöpfung in der realen Wirtschaft gab? Das funktionierte nur deshalb, weil die Finanzprodukte sehr intransparent waren. Wenn etwas eine ebenso hohe Bonität hat wie Staatspapiere, aber viel mehr Rendite abwirft, kann etwas nicht stimmen. Davon aber wollte niemand so recht etwas wissen. Insgesamt hatte der Markt für abgeleitete Finanzkonstrukte – nicht nur auf der Basis von Schrottimmobilien, sondern zunehmend auch anderer Aktiva, wie Unternehmensanleihen, Rohstoffe, Geldmarktpapiere, Kreditkartenforderungen, Autokredite – zuletzt eine astronomische Größenordnung erreicht.

Das Kartenhaus ist nun dabei zusammenzubrechen. Es wird noch viele Opfer fordern, auch wenn es am heutigen Freitag so aussieht, als würden die Rettungsaktionen von Regierung, Parlament und Notenbanken die Situation erst einmal stabilisieren. Da die Marktwirtschaft im Finanzsektor versagt hat – wegen ungenügender Aufsicht, oder weil Märkte nicht von sich aus ein Gleichgewicht erzeugen – muss nun der Staat die Aktiva übernehmen oder garantieren, die zur Zeit nicht handelbar sind. „Kapitalismus im Boom, Sozialismus im Abschwung“ hat das eine Kollegin von mir genannt. Ich bin gespannt, ob die de facto Verstaatlichung des Finanzsektors, die wir gerade erleben, dauerhaft sein wird, oder ob erneut eine schrittweise Privatisierung gelingen wird. Anfang der neunziger Jahre hatte das bei der Rettungsaktion für die Savings&Loan-Branche geklappt. Diesmal reden wir aber über ganz andere Größenordnungen.