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Für die Währungsunion ist die Krise auch eine Chance

 

Ich bin einigermaßen überrascht, dass der Euro in letzter Zeit gegenüber dem Dollar so viel an Boden verloren hat. Ich hatte erwartet, dass $1,40 der Wendepunkt sein würde. Jetzt kostet er nur noch $1,3408 und damit knapp 16 Prozent weniger als am 11. Juli, seinem letzten Höchststand. Das kann man schon als Crash bezeichnen, auch wenn das realwirtschaftlich keine so schlechte Sache ist. Was ist los?

Eine Erklärung ist, dass amerikanische Unternehmen angesichts der schwierigen Lage in den USA verstärkt ihr europäisches Vermögen verkaufen und repatriieren – sie importieren also Kapital und fragen auf diese Weise Dollar nach, was den Eurokurs entsprechend belastet. Ähnliches kennen wir aus Japan: als der Nikkei nach dem Platzen der Aktienblase von Anfang 1990 bis Ende April 1995 um 57 Prozent gefallen war, verteuerte sich der Yen gleichzeitig gegenüber dem Dollar um 74 Prozent. Auch in Japan gab es damals übrigens, wenn auch mit zweijähriger Verzögerung, einen Crash der Immobilienpreise – seit 1992 gingen sie 15 Jahre in Folge zurück, um insgesamt 52 Prozent!

So extrem wie damals der Yen wird sich der Dollar ganz sicher nicht aufwerten. Zum einen gibt es nach wie vor ein großes Dollarangebot durch das immer noch gewaltige Defizit in der amerikanischen Handelsbilanz; Japan hatte dagegen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre in der Leistungsbilanz Überschüsse von rund $9 Mrd pro Monat. Zum anderen ist auch die Lage der öffentlichen Haushalte diametral unterschiedlich: Japan hatte damals zumindest anfangs große Überschüsse (1990: 2,1 Prozent des BIP), während die USA jetzt mit einem Defizit in der Größenordnung von 2,5 Prozent des BIP in die Krise segeln. Angesichts des negativen Nettoauslandsvermögens der USA ist natürlich auch gar nicht so viel da, was sich repatriieren ließe. Das war in Japan damals als Folge der rekordhohen Sparquoten ganz anders.

Insgesamt finde ich das Repatriierungsargument nicht sonderlich überzeugend. Ich denke vielmehr, dass die Stärke des Dollars ganz andere Ursachen hat: Die Anleger meinen offenbar, dass die amerikanische Politik über die Mittel verfügt, mit denen die Krise überwunden werden kann, die 15 Länder des Währungsraums aber nicht. Es gibt zwar die EZB und damit eine gemeinsame Geldpolitik, es gibt aber keinen europäischen Finanzminister, und auch keine europäische Bankenaufsicht. Welcher amerikanische Politiker hatte noch gefragt, was denn die Telefonnummer des europäischen Außenministers sei? Kissinger? Wir lernen gerade wieder einmal, dass es schön und gut ist, dass die EZB die Inflation und die Inflationserwartungen stabilisieren kann, dass sie aber überfordert ist mit ihrer eigentlich zentralen Aufgabe (über die man nicht gern spricht), die Funktionsfähigkeit des Geldwesens zu sichern, wenn ihr kein potenter Finanzminister zur Seite steht. Mit wem soll Herr Paulson telefonieren? Jean-Claude Juncker?

Es geht in diesen Wochen ein bisschen auch um das Fortbestehen der Währungsunion, scheint mir. So gut diese dasteht in Bezug auf Leistungsbilanz, öffentliche Haushalte, Sparquote, Unternehmensgewinne und Immobilienmärkte, so wenig ist aus Sicht der Marktteilnehmer klar, ob sich die Länder wirklich solidarisch verhalten werden, wenn es, wie jetzt, darum geht, das Bankensystem vor dem Kollaps zu bewahren.

Wie sonst sind die riesigen Renditeunterschiede für zehnjährige Staatsanleihen zu erklären? Für deutsche Papiere gibt es 3,99 Prozent, für spanische 4,62 Prozent und für italienische und griechische sogar 4,86 Prozent und 4,98 Prozent. In ruhigeren Zeiten betrugen die Differenzen selten mehr als 20 oder 30 Basispunkte. Französische Anleihen, bei denen es lange Jahre trotz der geringeren Liquidität kaum Risikoaufschläge gab, bringen gegenwärtig nicht weniger als 30 Basispunkte mehr als „Bunds“. Selbst bei Laufzeiten von weniger als einem Jahr zeigen sich erstmals deutliche Zinsunterschiede zwischen den jeweiligen nationalen Märkten.

Die Kernschmelze hat, wie es am Freitag im Economist (S.39) hieß, auf grausame Art die institutionellen und politischen Schwächen des europäischen Projekts offengelegt. Bisher hat jede Regierung nur für sich gekämpft, mit Maßnahmen zur Beruhigung der Sparer und zur Rettung von Banken.

Damit war natürlich in einer echten Krise zu rechnen. Aber niemand hatte den Mut, Vorkehrungen für den Fall der Fälle zu treffen, weil das zusätzliche Schritte in Richtung politische Union bedeutet hätte und in der Öffentlichkeit nicht gut angekommen wäre. Der Fall ist jetzt jedoch eingetreten. Eine engere Kooperation in der Finanzpolitik ist unbedingt erforderlich, damit die Währungsunion überleben kann. Das bedeutet eine starke Aufwertung der Eurogroup, Schritte in Richtung horizontalem Finanzausgleich (über die Agrar- und Regionalpolitik hinaus), eine breitere Einnahmebasis für die zentralen Institutionen (auf die mehr Kompetenzen übertragen werden müssten), ein gemeinsamer Markt für Regierungsanleihen und gemeinsame Vertretung im IWF und in der Weltbank. Das läuft auf einen zweiten Maastricht-Vertrag hinaus. Einer der Vorteile bestünde darin, dass sich der Euro zu einer echten Reservewährung fortentwickeln könnte, was vor allem den Vorteil hätte, dass die langfristigen Realzinsen dauerhaft niedriger wären als heute, das Wirtschaftswachstum also höher.

Ebenso dringend muss man sich dem Problem widmen, dass es immer mehr pan-europäische Banken gibt, die in mehreren Länder gleich stark aktiv sind. Das ist wegen der besseren internationalen Allokation der Ersparnisse eine erfreuliche Entwicklung. Gleichzeitig liegt die Aufgabe, die Banken zu beaufsichtigen, aber weiterhin bei den nationalen Organen. Unterschiedliche Ansichten und Ziele verhindern im Ernstfall ein zielgerechtes und effizientes Reagieren. (Eine gute Übersicht der Problemlage findet sich in einem Papier des Breugel Instituts von Nicolas Véron.)

Im Augenblick mag es unrealistisch klingen, es könnte aber sein, dass die Krise letztlich die europäische Sache voranbringen kann. Der Zwang, die Institutionen zu stärken, war selten so offenkundig wie jetzt. Die EU selbst ist letztlich auch das Kind einer – natürlich viel größeren – Krise, des Zweiten Weltkriegs.