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Spott, Übermut und berechtigte Hoffnung: So wird 2009

 

Drei Hirten, ein paar Gläser Bier und eine Prognose. Am vorletzten Tag des alten Jahres haben sich Dieter Wermuth, Lucas Zeise und ich in Frankfurt getroffen und tief in die Glaskugel geschaut, um wie jedes Jahr unsere Wetten für das kommende Jahr zu formulieren.

Nur Spott hatten wir für den großen Professor Zimmermann vom DIW übrig, der am liebsten von Prognosen für 2009 absehen möchte, weil ja alles so ungewiss sei. Die Wahrheit ist doch: Bei Prognosen geht es auch darum, wie weit man in der Lage ist, das System zu verstehen, ob man dem richtigen Paradigma anhängt, oder eben dem falschen. Und wenn man daneben liegt, muss man eben seine Annahmen korrigieren, Fehler einräumen. Und unsere Wetten für 2008 waren nicht schlecht, wie wir wie immer selbstgerecht freudig festgestellt haben. Dieter und ich stritten uns vor einem Jahr um die Abkopplungsthese. Er hing ihr noch an, ich nicht mehr, weshalb bei den drei Wetten, die mit meinem Einspruch versehen waren, der Einspruch besser lag.

Der Rest schaut gut aus: Die USA stecken in der Rezession, der Ölpreis ist gefallen, wenngleich noch stärker als gewettet, die EZB hat die Zinsen gesenkt, ebenfalls stärker als von uns erwartet, der Dollar hat bis auf 1,60 Euro abgewertet und liegt am Jahresende bei rund 1,40. Das britische Pfund ist stärker gefallen als getippt, aber Frankreich hat England in nominalen BIP-Terms – und auch beim Wachstum des realen BIP – überholt. Der S&P 500 und der Dax sind gefallen, wenngleich deutlich tiefer als gedacht. Die Zehnjahresrendite ist ebenfalls gesunken, wieder drastischer als getippt, und auch die deutsche Arbeitslosenquote ist gefallen. Also: Die Tendenz haben wir gut erwischt, den brutalen Abschwung nicht gesehen. Aber wir brauchen nicht Lehman, um unser Weltbild zu korrigieren. Lehman hat die von uns erwartete Abschwächung beschleunigt, nicht ausgelöst.

Jetzt zu 2009. Das große Bild schaut wie folgt aus: Haushalte, Unternehmen und Banken sitzen nicht nur in den westlichen Volkswirtschaften auf zu viel Schulden. Die müssen sie abbauen, sie müssen, auf neudeutsch, deleveragen. Bilanzrezession à la Richard Koo droht. Das bedeutet erstens: Die weltweite Nachfrage fällt deutlich hinter die Angebotsmöglichkeiten zurück, und zweitens ist und bleibt Deflation das dominierende Thema des Jahres. Die Staaten müssen und werden die Nachfragelücke mittels Konjunkturprogrammen versuchen zu füllen. Das gelingt mehr schlecht als recht. Japan ist unser wahrscheinlichstes Szenario. Wir stehen am Anfang einer langwierigen Phase (mindestens drei Jahre) mit Rezessionen, die von Miniwachstum abgelöst werden, bevor es wieder rezessiv wird.

An den Untergang des kapitalistischen Systems glauben wir nicht, wenn gleich uns Kollege Bernd Wittkowski mit seiner alljährlichen Persiflage in der Börsen-Zeitung zum Schmunzeln gebracht hat. Dort schreibt er unter seiner zehnten Vorhersage: „Überraschende Entwicklung in der Finanzkrise: Alle Banken, Sparkassen und Fondsgesellschaften werden abgeschafft. Kredite an Unternehmen und Verbraucher vergibt künftig exklusiv die Bundesbank, für Geldanlagen ist nun allein die Deutsche Finanzagentur zuständig.“ Genau so endet der Kapitalismus, wenn zuvor Marktradikale ihn erst entfesseln und dann erstaunt sind, wenn er wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Deshalb: Haltet die Marktliberalen! Und beim gefühlten dritten Bier gewann der Optimismus Oberhand: Das Gute an einer langen Krise wird sein, dass die falschen, marktliberalen Theorien für lange Zeit in der Versenkung verschwinden werden.

Hier nun etwas konkreter unsere Wetten:

  

1. Globale Rezession

Das Wachstum der Weltwirtschaft wird, in aktuellen Wechselkursen gerechnet, nur ein Prozent betragen, oder, in Kaufkraftparitäten, zwei Prozent. Das ist nach der Definition des Internationalen Währungsfonds eine Rezession, wie wir sie seit Generationen nicht mehr erlebt haben; sie führt zu einem steilen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Selbst wenn viele Staaten jetzt Konjunkturprogramme auflegen, werden sie nur mit Mühe die Nachfragelücke füllen können. Zudem dauert es einige Zeit, bis sich die Produktionsstrukturen umstellen, die weltweit zu stark auf den amerikanischen Super-Konsumenten zugeschnitten waren. Der wird aber einige Jahre seinen Gürtel enger schnallen müssen, um aus der Schuldenfalle herauszukommen. Sparen ist angesagt!

  

2. Massive Interventionen am Devisenmarkt

An den Devisenmärkten wird es turbulent zugehen, was letztlich die Zentralbanken zu Interventionen veranlassen wird. Der Glaube an die Effizienz der Märkte wird weiter schwinden, genau wie der Glaube, freie Märkte könnten für Stabilität sorgen. Ein neues Weltwährungssystem mit quasi-festen Wechselkursen wird 2009 immer mehr Anhänger finden.

2a. Die EZB rettet Dänenkrone, Schwedenkrone, Pfund, Schweizer Franken und die osteuropäischen Währungen

Das hat sie bei Dänemark 2008 schon vorgemacht – sie wird ihre Devisenswaps zur Abwehr spekulativer Attacken aber auch den anderen Länder anbieten müssen, um die Krise nicht noch weiter zu verschärfen.

2b. Der Dollar stürzt wieder ab

Die extrem expansive Geldpolitik in den USA wird dazu führen, dass der Euro seine alte Höchstmarke von 1,60 Dollar schon bald wieder erreichen wird. Bis auf 1,80 Dollar kann er steigen, dann allerdings werden EZB und Fed intervenieren (Dollar kaufen, Euro verkaufen).

  

3. Der Ölpreis fällt weiter

Bis auf 15 Dollar wird das Barrel Öl fallen, und damit in die Nähe der gemittelten Grenzkosten aller Energieanbieter notieren, bevor es sich wieder berappelt. Das passiert allerdings nur, wenn sich der Konflikt im Nahen Osten nicht zu einem Flächenbrand ausweitet.

  

4. Die Inflation fällt im Sommer unter null Prozent

Das gilt mit Sicherheit für Deutschland, die Preissteigerungsrate für Euroland wird aber ebenfalls nah an die Null herankommen – die Headline-Inflation, versteht sich. Vermutlich wird sich die Kerninflationsrate der Marke von ein Prozent nähern – der Trend geht bereits in diese Richtung.

  

5. Die EZB senkt den Leitzins bis zum Jahresende auf ein Prozent

  

6. Die EZB definiert ihr Inflationsziel neu

Spätestens im Sommer wird die EZB einräumen müssen, dass sie seit ihrem Bestehen falsch kommuniziert hat. Binnen nur eines Jahres wird sie das sture Starren auf die Headline-Inflation in arge Argumentationsschwierigkeiten bringen. Im Sommer letzten Jahres lag die Inflationsrate bei über vier Prozent, weil der Ölpreis spekulativ in die Höhe getrieben worden war. Das hat die EZB zu der wahnsinnigen Analyse verleitet, sie müsse die Zinsen erhöhen (das war am 3. Juli 2008). Im Sommer 2009 muss sie irgendwie erklären, dass eine Inflationsrate von null noch keinen echte Deflation ist, weil es ja wieder vor allem der Ölpreis sein wird, der für die negativen Preissteigerungsraten verantwortlich sein wird. Sie wird das Tabu-Wort des Monsieur Issing verwenden und die Kernrate der Inflation, also die Rate ohne die stets stark schwankenden Energie- und Nahrungsmittelpreise, hoffähig machen. Darüber hinaus wird sie vermutlich auf ein symmetrisches Ziel von zwei Prozent plus/minus ein Prozentpunkt umstellen.

  

7. Das deutsche Staatsdefizit erreicht drei Prozent des BIP

Anders geht es in der Rezession halt nicht. Irgendeiner muss ja Schulden machen, wenn alle anderen, also Haushalte und Unternehmen, sparen wollen.

  

8. Aktien schneiden erneut schlecht ab

Die Erholung am Aktienmarkt wird immer nur von kurzer Dauer sein. Am Jahresende werden alle großen Indizes unter ihren Endständen von 2008 notieren. Der Dax wird im Jahresverlauf zutiefst bis auf 3000 Zähler sinken. Diese Wette gilt nur solange die Regierungen davon absehen, direkt am Aktienmarkt zu intervenieren. Gut möglich, dass die USA zu diesem drastischen Mittel greifen müssen, weil sonst das Fundament der privaten Altersvorsorge wegbricht.

  

9. Bei Staatsanleihen winken weitere Gewinne

Deflation und Flucht in sichere Anlagen werden 2009 führen dazu, dass die Zehnjahresrendite der Bundesanleihen im Verlauf des Jahres ihr Tief bei knapp unter zwei Prozent erreichen wird.

  

10. Josef Ackermann wird sich schämen

Denn die Deutsche Bank wird auch verstaatlicht, sprich unter den „Schirm“ flüchten. Das passiert noch im ersten Quartal. Das Theater um die nicht gekündigte Nachranganleihe der Deutschen im Dezember hat zweierlei gezeigt: Erstens, der Bank geht es, wie nicht anders zu erwarten, bei einem Leverage von um die 50 schlecht. Sie hat ihre riskanten Papiere bislang noch nicht angemessen abgeschrieben. Zweitens sind die Investoren nach der Aktion im Dezember kaum mehr gewillt, der Deutschen frisches Geld zu leihen. Last but not least hängen schon so viele internationale Wettbewerber am staatlichen Tropf, dass es allein aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit klug sein wird, ebenfalls den Gang in die Verstaatlichung anzutreten. Scham hin, Scham her. War sowieso nur dick aufgetragen.

So, das sind sie die Wetten.

Unsern Lesern und Kommentatoren, Fans und Kritikern wünschen die Hirten des HERDENTRIEB ein glückliches Neues Jahr!