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Kluges vom Sehr-Altkanzler

 

Manchmal kommt Erfrischendes von unerwarteter Seite. Ich will mich hiermit also nur als schlichter Multiplikator betätigen. Es mag umso überflüssiger wirken, als die unerwartete Seite vom Herausgeber der ZEIT kommt, auf deren Website dieses Blog ja angesiedelt ist.

Mein Hinweis kommt zudem sehr spät. Dafür habe ich eine Entschuldigung. Als der gute Altkanzler Schmidt so langsam 90 wurde, lief die Presse mal wieder zu Hochform auf. In jedem Blatt wurde er hochgejubelt. Mir wurde schlecht dabei und ich habe keinen der Artikel über ihn in jenem Wochen gelesen. Und auch keinen von ihm.

Das war ein Fehler. Am 15. Januar erschien in seiner Hauszeitung ein Artikel „Wie entkommen wir der Depressionsfalle?“ Er beginnt mit einer etwas hilflosen Analyse der Ursachen und Ausgangsbedingungen für die Krise, wobei Selbstsucht und Habgier der Banker und Fahrlässigkeit der politischen Klasse eine wichtige Rolle spielen. Das Wichtige kommt danach.

Schmidt schlägt sechs Schritte vor, um die Spekulation einzudämmen. Hier sind sie:

1. Alle privaten Finanzinstitute (inklusive Investmentbanken, Hypothekenbanken, Investment- und Pensionsfonds, Hedgefonds, Equity Trusts, Versicherungsgesellschaften et cetera.) und alle marktgängigen Finanzinstrumente werden derselben Banken- und Finanzaufsicht unterstellt.

2. Die Banken- und Finanzaufsicht legt für alle Branchen der privaten Finanzinstitute Eigenkapital-Minima fest.

3. Den Finanzinstituten werden jegliche Geschäfte außerhalb der eigenen Bilanz (und der Gewinn-und-Verlust-Rechnung) verboten und unter Strafe gestellt.

4. Allen Finanzinstituten wird bei Strafe der Handel mit solchen Finanzderivaten und -zertifikaten verboten, die nicht an einer anerkannten Wertpapierbörse zugelassen und notiert sind.

5. Es wird allen Finanzinstituten bei Strafe verboten, per zukünftigen Termin Wertpapiere und Finanzinstrumente zu verkaufen, die sie zur Zeit des Verkaufes nicht zu eigen besitzen. Damit wird die Spekulation auf fallende Kurse („Shortselling“) erschwert.

6. Finanzeinlagen und Finanzkredite zugunsten solcher Unternehmen und Personen werden bei Strafe verboten, die rechtlich in Steuer- und Aufsichtsoasen registriert sind.

Nur ein ganz kurzer Eigenkommentar hierzu. Die ersten drei Punkte vor allem sind essenziell: Alle Finanzgebilde ohne Ausnahme werden einer Kreditvergabebegrenzung unterzogen. Auf die Punkte 4 und 5 könnte man, wenn es nach mir ginge, verzichten. Dagegen ist 6 sehr wichtig. Und es fehlt ein wichtiger Punkt. Der Kapitalverkehr muss wieder kontrolliert werden. Ohne diese Kontrolle sind die anderen Punkte nicht zu überwachen.

Weiter unten kommt Schmidt auf die zur Bekämpfung der drohenden Depression notwendigen Konjunkturprogramme zu sprechen. Das meiste davon sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Beispielsweise folgender kluge Satz: „Wenn ein Land stark von den Weltmärkten abhängig ist wie zum Beispiel China oder Deutschland oder (wegen des Öl- und Gasexportes) auch Russland, dann muss das Programm im Verhältnis zum eigenen Inlandsprodukt deutlich größer sein als etwa in den USA, wo fehlende Auslandsnachfrage nur eine sehr geringe Rolle spielt.“ Der alte Schmidt gibt tatsächlich sehr kluge Ratschläge an die aktuell Regierenden.

Leider ist nicht erkennbar, dass diese die Ratschläge des alten Mannes beherzigen oder auch nur zur Kenntnis nehmen. Der taktisch geschickte und auch sonst kluge Oskar Lafontaine hat die obigen sechs Punkte Schmidts im Bundestag seitens seiner Fraktion die Linke als Entschließungsantrag eingebracht. (Ein Hinweis der NachDenkSeiten hat mich darauf aufmerksam gemacht.) Aber das wurde abgeschmettert.

Nun gut oder besser schlecht. Auch diese Ablehnung kann sich noch ändern. Der unschätzbare Vorteil an Schmidts Text ist, dass die Richtung stimmt. Zugleich ist der gefeierte Altkanzler über jeden Verdacht erhaben, ein Linker zu sein. Sein Faible für den Positivismus und für Popper ist notorisch, ebenso sein erzkonservatives Staatsverständnis. Es ist schon verblüffend, dass seine Positionen nicht einmal heutzutage in der SPD-Führung akzeptiert werden.