Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Ein löbliches Ziel, das nicht zu erreichen ist

 

Noch nie sei auf einen Konjunktureinbruch so schnell und umfassend reagiert worden, meinte gestern in der Bundestagsdebatte zum Konjunkturpaket Freiherr von und zu Guttenberg. Offensichtlich ist der adelige Wirtschaftsminister in der Wahrnehmung der Realität so langsam wie sein Vorgänger Glos im sprachlichen Ausdruck. Immerhin wurde laut Glos in seinem Ministerium schon vor einem Jahr die Auflegung eines Konjunkturprogramms erwogen. Ein Jahr dauerte es also, bis die Wirtschaftsverbände, die orthodoxen Volkswirte und schließlich auch die Bundesregierung ihre interessegeleiteten Hemmungen gegen Konjunkturprogramme endlich aufgegeben haben. Wahrlich rasant!

Wirklich schnell ging oder geht es dagegen bei der Bankenrettung. Das, so werden Gutwillige sagen, liegt daran, dass man im Falle einer drohenden Bankenpleite sofort handeln muss. Unter dem Zwang der Umstände hätten deshalb binnen Tagen, wenn nicht Stunden die zweistelligen Milliardenbeträge für IKB, Commerzbank und Hypo Real Estate locker gemacht werden müssen. Auch in den USA und in anderen westeuropäischen Ländern sei schließlich so verfahren worden. Eine Bank über die Wupper gehen zu lassen, habe verheerende Folgen. Das könne man ja am Fall Lehman Brothers gut erkennen.

Diesen Fall sollte man sich, finde ich, noch einmal anschauen. Viele Volkswirte und Politiker argumentieren, erst nach dem Fall dieser Investmentbank sei die zuvor noch ziemlich harmlose zu einer gefährlichen Finanzkrise und zu einer Wirtschaftskrise geworden. Mir scheint, dass hier ein Mythos aufgebaut wird – ähnlich abgeschmackt wie die sonderbare und weit verbreitete Geschichtsinterpretation, für den Crash am Aktienmarkt von 2000 bis 2003 sei der Terroranschlag vom 11. September 2001 verantwortlich. Ähnlich wie 9/11 im Aktien-Crash ist der Fall von Lehman Brothers in der laufenden Finanzkrise nur eine Episode, mit dem Unterschied freilich, dass die Pleite der Brokerfirma ihrerseits Resultat der sich entfaltenden Finanzkrise war.

Es stimmt, dass erst seit dem September 2008, als Lehman gefallen war, der zuvor noch ziemlich heiter gestimmte Aktienmarkt die Krise so richtig zur Kenntnis nahm. Richtig ist auch, dass speziell im Frühherbst die Mehrzahl der Indikatoren für die Realwirtschaft scharf nach unten knickte. Das allerdings kann mit Lehman Brothers nichts zu tun haben. Der Ölpreis beispielsweise sackte zwei Monate vor der Lehman-Pleite ab. Es würde bestimmt schwer fallen, das Abknicken des Auftragseingangs in Deutschland im Sommer 2008 als Folge der Lehman-Pleite darzustellen. Die direkte negative Wirkung der Lehman-Pleite bezog sich auf den Finanzmarkt im engeren Sinne. Lehman war am Markt für Bonds und Bondderivate schließlich einer der wichtigsten Spieler. Gut möglich, dass AIG und Merrill Lynch ohne diese Pleite nicht in so starke Bedrängnis geraten wären, dass sie beim Staat bzw., der Bank of America Schutz suchen mussten.

Warum ist das überhaupt von Belang? Ich meine, dass der Mythos, die Pleite von Lehman Brothers habe die Finanzkrise erst schlimm gemacht, dazu dienen soll, noch mehr Geld für die Finanzbranche locker zu machen. Vor Lehman galt es als ausgemacht, dass lediglich im Zahlungsverkehr und im Kreditgeschäft aktive große Banken vom Staat vor dem Untergang bewahrt werden müssten, weil andernfalls eine Kreditausfalllawine und/oder ein Stopp des Zahlungsverkehrs die Folge wären. Nun, nach Lehman, gilt der Erhalt des Finanzmarktes oder einiger Teilsegmente schon als Grund, um eine Bank oder eine Brokerfirma am Leben zu erhalten.

Die mittlerweile 100 Mrd. €, die der Hypo Real Estate zugeschoben wurden, sollen dem Überleben des Pfandbriefmarktes dienen. Sind die Herren im Finanzministerium sicher, dass sich dieser Einsatz lohnt? Der mit staatlichen Schulden besicherte Pfandbrief zumindest dürfte sich nicht mehr beleben lassen. Wie soll eine private Bank sich jemals billiger finanzieren können, als es die staatliche Institution (also etwa die deutsche Kommune oder die italienische Regionalregierung, die ihre Schulden über die Depfa oder die HRE dem Publikum verkaufen wollen) tut? Dieses Geschäft funktionierte auch vor der Krise nur mit riskantem Derivateeinsatz und Fristentransformation. Die Hypo Real Estate muss ohnehin abgewickelt werden.

Notenbank und Regierung geben den Banken zur Zeit Kredit und Garantien in nach oben offenem Ausmaß. Das soll sie in die Lage versetzen, selbst wieder Kredite zu geben und sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Ein löbliches Ziel, das auf absehbare Zeit nicht zu erreichen ist. Die Wirtschaftskrise beginnt gerade erst, ihre negative Wirkung auf Umsatz und Gewinn der Unternehmen zu entfalten. Wem sollen die Banker nun Kredit geben? In zunehmendem Maß brauchen Unternehmen jetzt Kredit, nicht um in einem wachsenden Markt zu investieren, sondern um in einem schrumpfenden Markt Zahlungsausfälle zu überbrücken. Da ist keine lebhafte Kreditvergabe zu erwarten.

Das viele Geld für die Banken wird also gerade ausreichen, um sie überleben zu lassen. Die bessere Strategie ist es, das Geld für die Stützung der privaten Endnachfrage und der staatlichen Investitionsnachfrage zu verwenden. Die halbtoten Banken müssen vom Staat übernommen und dann in großen Teilen abgewickelt werden. Das wird teuer genug sein, aber immer noch billiger als die aktuell laufende Schüttaktion in Fässer ohne Boden.