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Oh, Du verdammter Stabilitätspakt

 

Euroland steckt in der tiefsten Krise seit der Einführung der Gemeinschaftswährung vor zehn Jahren. Daran gibt es leider nichts zu deuteln. An den Finanzmärkten werden bereits Wetten auf die Zahlungsunfähigkeit einzelner Euroländer abgeschlossen, namentlich Griechenland, Irland und die Slowakei. Aber auch Spanien, Portugal und selbst Italien schauen nicht sehr stabil aus. Die Debatte um die Rettung der Eurozone läuft hochtourig. Als populärer Vorschlag wird eine Gemeinschaftsanleihe herumgereicht. Selbst der Internationale Währungsfonds befürwortet inzwischen dieses Instrument. Ist es der Weisheit letzter Schluss? Und wer oder was hat eigentlich zu der Krise geführt? Auf die erste Frage ist die Antwort schwieriger, auf zweite dagegen kinderleicht: Es ist der verdammte Stabilitätspakt, den deutsche Super-Ökonomen ersonnen haben, die vom Kapitalismus noch nie richtig viel verstanden haben.

Zunächst kurz zum eigentlichen Problem: In der Eurozone ist es der Zentralbank untersagt, den Regierungen der einzelnen Länder direkt Staatsanleihen abzukaufen. Damit steht den Euroländern die Option, im Notfall Geld zu drucken, um die Staatsschuld zu bedienen, nicht zur Verfügung. Den 16 Euroländern geht es also wie Schwellen- oder Entwicklungsländern, die in ausländischer Währung verschuldet sind. Bekommen sie am Markt keine Euro mehr, weil ihre Zahlungsfähigkeit angezweifelt wird, dann ist aus die Maus. Dann droht der Staatsbankrott. Die kräftigen Ausweitungen bei den Renditedifferenzen zwischen deutschen Papieren und den Anleihen der oben genannten Staaten sprechen eine klare Sprache: Genau davor haben die hypernervösen Anleger Angst. Deshalb verlangen sie inzwischen bis zu drei Prozentpunkte höhere Zinsen von Staaten wie Griechenland oder Irland als von Deutschland. Und genau deshalb wird es für diese Staaten immer schwieriger, Mitten in der großen Krise, Konjunkturprogramme und Bankenrettungspakete zu finanzieren. Ein Teufelskreis.

Warum ist der Stabilitätspakt der einzig wahre Verantwortliche? Weil er als einziger Koordinierungsmechanismus innerhalb der Währungsunion schwachsinnig ist. Ein Beispiel: Die Staatsverschuldung Spaniens beträgt aktuell rund 40 Prozent gemessen am Brutto-Inlandsprodukt (BIP). Die deutsche liegt bei rund 65 Prozent. Aber Spanien hat Probleme, nicht Deutschland. Toll.

Es ist die fatale deutsche Sichtweise, dass wenn alle nur ihre Hausaufgaben machen, Koordinierung sich erübrigt. So sagt es zum Beispiel Super-Ökonom Otmar Issing, der Ex-Chefvolkswirt der EZB und heute Ober-Finanzmarktregulierer der Kanzlerin. Was meint er damit? Wenn die Arbeitslosigkeit zu hoch ist, ist das ein Problem der Gewerkschaften, die gefälligst ihre Hausaufgaben machen sollen, also für niedrige Löhne kämpfen. Wenn die Staatshaushalte aus dem Ruder laufen, ist das ein Problem der Finanzpolitik, die bitteschön die Staatsausgaben drosseln möge. Wenn die Inflation zu hoch ist, ist das ein Problem der Notenbank, die bitteschön die Zinsen anheben möge. Dass alles mit allem zusammenhängt, auf diese Idee kommen diese deutschen Ökonomen nicht. Mitgewerkelt am Stabipakt haben noch der heutige Bundespräsident Horst Köhler, der heutige Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark, der Ex-Finanzgeneral der EU, Klaus Regling, der Ex-Bundesbankchef Hans Tietmeyer, um nur die prominentesten zu nennen

Und also dachten sich diese Experten, wenn es schon eine Währung geben soll, dann muss auf jeden Fall verhindert werden, dass die einen Staaten auf Kosten der anderen Staaten über ihre Verhältnisse leben dürfen. Deshalb Maastricht, Stabipakt und No-Bailout, sprich kein Mitgliedsland darf dem anderen im Falle von Zahlungsschwierigkeiten helfen. Sind doch selbst dran schuld, wenn sie pleite gehen. Hätten sie mal ihre Hausaufgaben gemacht.

Doch die Wahrheit ist natürlich komplexer.

Wer eine Währung hat, braucht viel mehr Koordinierung als nur das gemeinsame Starren auf die Haushaltssalden. Wichtiger als die Haushaltssalden sind beispielsweise die Salden in der Leistungsbilanz, in der alle Ausfuhren und Einfuhren von Gütern und Dienstleistungen erfasst werden. Denn sie geben Auskunft darüber, welches Land Probleme hat und welches Probleme schafft. Länder mit krassen Defiziten (Spanien steuert auf zehn Prozent gemessen am BIP zu) sind genauso gefährlich wie Deutschland (im vergangenen Jahr lag der Überschuss bei über fünf Prozent gemessen am BIP). Wo ist die Instanz in Euroland, die hier mit Politikvorschlägen verbindlich eingreifen kann?

Das Hauptproblem sind natürlich und wie in diesem Blog immer wieder dargestellt, die zu geringen Lohnstückkosten in Deutschland. Damit haben wir die anderen Länder ganz klassisch ausgebeutet – über fieseste Beggar-thy-Neigbour-Politik. Und jetzt fliegt uns allen die Eurozone um die Ohren.

Aber genauso bedarf es natürlich auch einer Koordinierung zwischen den Fiskalpolitiken der einzelnen Länder, wie wir in der Debatte über die einzelnen Konjunkturpakete feststellen. Wenn Deutschland die Steuern anhebt (wie bei der Mehrwertssteuer geschehen) und im Gegensatz über die Senkung der Lohnnebenkosten die Arbeit billiger macht, verbessert es seine Wettbewerbsfähigkeit zu Lasten aller anderen Länder, die heute unter zu hohen Leistungsbilanzdefiziten ächzen.

Und last but not least muss auch die Geldpolitik mit der Fiskalpolitik des gesamten Euroraumes abgestimmt werden. Wenn die Fiskalpolitik bremst, kann die Geldpolitik einen laxeren Kurs einschlagen, als wenn die Fiskalpolitik einen Wirtschaftsaufschwung auch noch anfacht.

Das alles ist mehr als trivial, nur leider nicht für deutsche Ökonomen, die Euroland die Krise eingebrockt haben, weil sie heimlich alles Lobbyisten der deutschen Exportindustrie sind – und nur eines im Sinn hatten: Immer mehr Exporte für Deutschland, immer mehr Gewinne für diese Industrie.

Doch jetzt droht das Kind in den Brunnen zu fallen. Die Investoren spekulieren auf das Auseinanderbrechen der Währungsunion. Jetzt ist guter Rat teuer. In der Frankfurter Rundschau führen wir gerade eine ganz spannende Debatte, was nun zu tun ist. Professor Wilhelm Hankel, bekennender Euro-Kritiker, sieht die Zeit gekommen, den Euro schonend rück abzuwickeln. Deutschland wieder die D-Mark zu geben, den wackeligeren Ländern ihre Drachme, Peseta und Lira. Dann könnten diese Länder sich über Abwertung aus dem Tal der Tränen befreien, meint Hankel. Deutschland täte den Staaten mit einer Aufwertung der neuen D-Mark einen größeren Gefallen als durch jede noch so große Gemeinschaftsanleihe.

Thomas Mayer, Euroland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, dagegen schlägt anstelle der Gemeinschaftsanleihe einen Europäischen Währungsfonds (EWF) vor, der Ländern in Zahlungsbilanzschwierigkeiten Beistand gewährt, nicht ohne sie danach an die Kandare zu nehmen. Interessant ist seine Weiterentwicklung des EWF, der eines Tages echte Gemeinschaftsanleihen begeben soll, aber nicht aus der Not heraus, sondern um wahrhaft liquide Papiere zu schaffen. Er plädiert für eine deutlich stärkere Koordinierung, auch wenn er das Wort Wirtschaftsregierung nicht mag und auch noch nicht so weit geht.

Was ist jetzt zu tun?

Kurzfristig bleibt der Eurozone gar nichts anderes übrig als über eine riesengroße Gemeinschaftsanleihe die hypernervösen Investoren zu beruhigen. Da zahlt Deutschland natürlich kräftig drauf, aber das ist allemal besser als den Verdacht länger zu näheren, die Eurozone könnte auseinander fallen.

Das ist kurzfristig die einzige Option. Mittel- und langfristig dagegen muss die Koordinierung kräftig ausgebaut werden, der Stabilitätspakt zu einer Fußnote verkommen. Nicht, dass solide Staatsfinanzen nicht wichtig wären – im Gegenteil. Aber sie sind eben längst nicht alles.

Ein EWF, wie ihn Mayer vorschlägt, finde ich eine kluge Idee, solange die Staaten nicht den großen Schritt wagen wollen, hin zur Wirtschaftsregierung, hin zu den Vereinigten Staaten von Europa. Das war immer der nächste Schritt nach der gemeinsamen Währung. Wann, wenn nicht jetzt in der Krise müssen wir anfangen, ihn zu wagen?