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Was man bei der Schuldenbremse bedenken sollte

 

Vor drei Wochen hatte sich die Föderalismuskommission II unter der Leitung von Peter Struck und Ministerpräsident Günther Oettinger noch schnell auf eine Schuldenbremse geeinigt. Im März soll das Konzept in den parlamentarischen Beratungsprozess um dann im Sommer ins Gesetz gegossen zu werden. Die mit den Konjunkturprogrammen geplanten Haushaltsdefizite haben da wohl als Katalysator gewirkt. Und wenn man schon dabei ist, den ungeliebten Schulden der öffentlichen Hand zu Leibe zu rücken, will man auch gleich Nägel mit Köpfen machen. Der größten Neuverschuldung der deutschen Geschichte soll die strikteste Neuverschuldungsbremse der deutschen Geschichte folgen.

Der Beschluss der Föderalismuskommission sieht vor, die Neuverschuldung des Bundes bis 2016 auf 0,35% des BIP zu begrenzen und die Länder sollen ab 2020 auf jegliche Defizite verzichten. Ausnahmen von der strikten Regel kann es bei schwachem Wachstum, Naturkatastrophen und schweren Rezessionen geben. Während der Bundestag die Konjunkturpakete allerdings nur als einfache Gesetze verabschiedet, soll die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert werden und damit Verfassungsrang erhalten.

Auf den ersten Blick mag es ehrenwert erscheinen, das Anwachsen der öffentlichen Schulden per Verfassungsbremse aufzuhalten. Doch auf den zweiten Blick zeigen sich einige Fallstricke, die das ganze Projekt äußerst fragwürdig machen.

Mit einem solchen Verfassungszusatz würden unsere armen Kinder nicht nur um neue Schulden entlastet, sondern auch gleich um das, was damit finanziert wird – etwa Schulen, Universitäten und Straßen, kurz: Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Denn genau wie Unternehmen sich für neue Investitionen verschulden, nimmt auch der Staat dafür Schulden auf.

Ist ihm dieser Weg verbaut, müsste er Investitionen aus den laufenden Einnahmen finanzieren, und damit für jeden Euro öffentlicher Ausgaben die Steuern um den gleichen Euro erhöhen – wie wenn Unternehmen für jede Investition ihre Preise erhöhen würden. Weil Steuererhöhungen politisch nicht ganz leicht durchzusetzen sind, müssten Regierung und Parlament für jede öffentliche Investition einen politischen Kampf ausfechten. Solche Kämpfe würden viel Kraft kosten, die man für andere Dinge besser nutzen könnte. Wichtige öffentliche Ausgaben würden verschleppt oder gar nicht erst angegangen.

Alternativ könnte die Politik ganz auf öffentliche Investitionen verzichten und es Privatunternehmen überlassen, die Lücke zu füllen. Doch wenn der Staat alles privat machen lässt, kostet das die Bürger auch mehr Geld. Denn die Schuldenaufnahme ist für Privatunternehmen teurer als für den Staat – im Gegensatz zum Staat gehen Unternehmen schneller Pleite und müssen dementsprechend auch höhere Zinsen zahlen.

Was passiert, wenn private Investoren Pleite gehen, erleben gerade einige Kämmerer in den Kommunen. Sie haben ihre Klärwerke, Kanal- und Trinkwassernetze, Müllverbrennungsöfen, Messehallen und Straßenbahnen an dubiose Finanzinvestoren verkauft und dann wieder zurückgemietet. Eigentlich wollten sie dabei Geld sparen und ihre klammen öffentlichen Kassen aufbessern. Weil aber einige dieser Investoren in der Finanzkrise Pleite gegangen sind, sitzen die Städte jetzt auf riesigen Schulden.

Private Unternehmen investieren auch nur, wenn Profite dabei herausspringen. Und dafür müssen sie eine entsprechende Rendite erwirtschaften. Das heißt, mit der Schuldenbremse würden per Verfassung weit höhere Gebühren für die Nutzung öffentlicher Infrastruktur auf uns zukommen: Maut, Kindergarten- und Schulgeld, höhere Preise für Schwimmbäder und höhere Bahnticketpreise sowieso. Die Schuldenbremse wäre der Einstieg in den Ausstieg des Staates aus der öffentlichen Infrastruktur per Verfassung.

Diese Konsequenzen kann man politisch wollen. Warum soll der Staat darüber entscheiden, wie viel in welche Infrastruktur investiert wird? Haben Politiker und Bürokraten nicht schon immer viel Geld für Projekte ausgegeben, die niemand will oder braucht? Aber nicht nur die öffentliche Hand kann Geld falsch investieren. Die gesamte US- und Teile der deutschen Autoindustrie haben es geschafft, die Zeichen der Zeit nicht zu sehen und falsch zu investieren. Jetzt halten sie die Hand für öffentliche Gelder auf.

Wen die Bürger also für den besseren und zuverlässigeren Investor halten, sollten sie lieber selbst entscheiden. Wenn sie gerne weniger Steuern zahlen und mehr privat organisieren wollen, können sie das in unserer Demokratie per Stimmzettel so entscheiden.

Schließlich ist das Schöne an der Demokratie, dass man wählen kann, welche Politik gemacht wird. Würde man die Schuldenbremse aber im Grundgesetz festschreiben, wäre die politische Wahlfreiheit erheblich eingeschränkt. Der politische Prozess wäre quasi ausgehebelt. Der Kern des modernen Parlamentarismus seit seinen Anfängen im England des 17. Jahrhunderts – das Haushaltsrecht – würde ausgehöhlt.

Darüber hinaus scheint die Schuldenbremse auch ziemlich unausgegoren. Erst mal die Zahl: Wie kommt die Föderalismuskommission auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts? Warum nicht gleich null oder ein oder drei Prozent? Die Grenze von drei Prozent kennt man aus dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Obwohl auch da kaum jemand richtig weiß, warum es gerade drei Prozent sein müssen (es geht dabei um die Stabilisierung der Schuldenstandsquote unter bestimmten Annahmen), gibt es eine gewisse ökonomische Logik hinter dem Pakt, die der Schuldenbremse fehlt.

Die drei Prozent sollen vor allem den so genannten „automatischen Stabilisatoren“ Raum lassen. Diese „automatischen Stabilisatoren“ sind die Mehrausgaben des Staates, die sich bei einem Wirtschaftsabschwung von selbst ergeben. Ohne dass Regierung und Parlament es extra beschließen müssten, wird der Staatshaushalt defizitär und die Wirtschaft automatisch stabilisiert – weil konjunkturbedingt die Sozialtransfers steigen und Steuer- und Abgabeneinnahmen weg brechen. Nach dem Konzept der Schuldenbremse müsste extra ein „Stabilitätsrat“ bestehend aus dem Bundesfinanzminister und seinen Länderkollegen abnicken, dass der Staat dieses Defizit auch realisieren darf. Politischer und verfassungsrechtlicher Hickhack ist vorgezeichnet.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das alles bedeutet nicht, dass es sinnvoll ist, grenzenlos Schulden anzuhäufen. Schließlich steht das Geld, das der Staat für Zinsen ausgeben muss, nicht mehr für andere wichtige Dinge zur Verfügung. Schulden belasten nicht nur die dubiosen „zukünftigen Generationen“. Schon die heutigen Steuerzahler zahlen den ebenfalls schon längst geborenen Eigentümern von Staatsanleihen Zinsen. Weil Staatsschulden solche Verteilungswirkungen haben, muss der Staat natürlich sehr genau aufpassen und begründen, wozu er Schulden aufnimmt.

Um die öffentliche Hand stärker in die Pflicht zu nehmen, könnte etwa – wie in den 90er Jahren in den USA – das Parlament nur Gesetzte beschließen, wenn die Gesetzesinitiatoren konkrete Vorschläge mitliefern, wie die damit verbundenen Ausgaben finanziert werden sollen. Dann müssten die Initiatoren für die Öffentlichkeit transparent erklären, welche Ausgaben aus welchem Grund aus welchen Steuereinnahmen oder mit welcher Neuverschuldung finanziert werden.

Die Schuldenaufnahme als Finanzierungsquelle aber von vornherein auszuschließen wäre dumm. Denn wenn der Staat investieren soll, dann muss er sich auch verschulden können, genau wie private Unternehmen. Und es wäre absurd, mit öffentlichen Investitionen so lange zu warten, bis Naturkatastrophen oder Rezessionen kommen. Übrigens gibt es schon eine schöne Regel im Grundgesetz: Artikel 115 regelt, dass die Neuverschuldung nicht höher als die Investitionen sein darf. Diese ökonomisch vernünftige Regelung auszubauen oder strikter anzuwenden hilft allemal mehr als per Verfassung Schulden zu verbieten.