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Was gegen den Wachstumsschock zu tun ist

 

Inzwischen ist allen klar, dass wir es diesmal nicht mit einer normalen Konjunkturdelle, sondern mit etwas viel Ernsterem zu tun haben: die Zuwachsraten des deutschen BIP werden mindestens sieben Quartale in Folge im Vorjahresvergleich negative Vorzeichen aufweisen, was ungewöhnlich lang ist; im Tiefpunkt der Rezession, der nach unseren Rechnungen im vergangenen Quartal erreicht wurde, lag das reale BIP um 7,6% unter seinem letzten Höchststand (vom 1. Qu. 2008), ebenfalls ein Rekordwert; die Verbraucherpreise stagnieren seit etwa einem Jahr und dürften, wenn man sich die Einfuhrpreise, die industriellen Erzeugerpreise und den Trend bei den Löhnen ansieht, demnächst fallen, so dass es erstmals zu einer Deflation kommen könnte. Sowohl die Geldpolitik als auch die Finanzpolitik bewegen sich, gemessen an den nominalen Notenbankzinsen und den staatlichen Defiziten, auf vollkommen ungewohntem Terrain. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie, ob gewollt oder nicht, demnächst noch nachlegen müssen, nach dem Motto „Wir haben zwar die Orientierung verloren, aber wir verdoppeln unsere Anstrengungen“, wie es ein Kommentator kürzlich hier im Blog formuliert hatte.

Ein Konjunktureinbruch ist schlimm genug, was sich aber als das eigentliche Problem herausstellen könnte, sind die Langfristeffekte der Krise. Die trendmäßige Wachstumsrate des sogenannten Produktionspotentials könnte stark zurückgehen. Hoffen wir, dass es nicht so kommt wie in Japan, wo die durchschnittlichen Zuwachsraten des realen BIP nach dem Platzen der Aktien- und Immobilienblasen innerhalb von zehn Jahren von fast 4% (in den 80er Jahren) auf etwa 1% (in diesem Jahrzehnt) zusammengeschnurrt waren. Empirische Studien belegen ziemlich eindeutig, dass die Verluste an potentiellem Output dann besonders groß sind, wenn eine Rezession mit einer Bankenkrise größeren Ausmaßes einhergeht, so wie jetzt bei uns und in allen übrigen OECD-Ländern.

In Deutschland ist der Ausgangspunkt noch viel schlechter als damals in Japan: Das Trendwachstum beträgt nämlich seit dem letzten zyklischen Spitzenwert im Jahre 2001 nur noch 1,33%. Die Nulllinie ist daher schnell erreicht, wenn es auch nur annähernd so kommt wie in Japan – dann geht es nicht mehr um Anteile an einem wachsenden, sondern an einem schrumpfenden Kuchen. Fragt sich, ob das unsere Sozialsysteme aushalten werden. Der Aufschrei, den der Vorschlag der Bundesbank ausgelöst hat, das normale Rentenalter ab 2060 (!) auf 69 Jahre anzuheben, gibt einen Vorgeschmack auf die Verteilungskämpfe, die uns drohen.

In ihrem jüngsten Jahresbericht führt die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auf Seite 82 vier Gründe an, weswegen sich das Potentialwachstum in der Tat kräftig vermindern könnte:

– Da der Prozess der Kreditschöpfung auf Jahre hinaus nicht mehr richtig funktioniert, verlangen die Banken und Anleger höhere Risikoprämien, was zu höheren Zinsen und damit zu geringeren Investitionen führt.

– Die strukturelle Arbeitslosigkeit dürfte zunehmen, da manche Jobs, etwa in der Finanzbranche und bei den Autobauern, für immer wegfallen (ohne dass ausreichend viel neue an anderer Stelle entstehen).

– Es ist davon auszugehen, dass diesmal, noch mehr als in früheren Krisen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung zurückgefahren werden. Da gleichzeitig die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche sinken dürfte – Stichwort Kurzarbeit -, vermindert sich die Wachstumsrate der sogenannten Faktorproduktivität, die neben der Zuwachsrate der Erwerbsbevölkerung entscheidend dafür ist, wie stark das potentielle reale BIP wächst.

– Zudem kann es einen negativen außenwirtschaftlichen Effekt geben: Wenn die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital nicht vollkommen mobil sind, wovon auszugehen ist, führt der krisenbedingte Verlust von Exportmärkten zu einem dauerhaften Verlust von Arbeitsplätzen und Fabriken.

Keine Frage, es handelt sich hier nicht um Schwarzmalerei, sondern um ein realistisches Szenarium. Was ist zu tun? Am dringendsten ist eine rasche und gründliche Sanierung des Bankensektors, damit die Kreditvergabe wieder in Schwung kommt. Keine zusätzlichen Investitionen ohne geliehenes Geld! Seit Beginn des Jahres ist die Kreditvergabe in Deutschland ebenso wie im Euroland insgesamt saisonbereinigt leicht rückläufig. Strenge Mahnungen von Seiten der EZB, der Kanzlerin oder des Finanzministers helfen da wenig. Es geht den Banken nämlich vor allem darum, ihre Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen – sie enthalten immer noch zu viel überwerteten Schrott, nicht nur amerikanischer Provenienz, und die schwache Konjunktur tut ihr Übriges für die Qualität der Aktiva. Die Banken wollen nicht Kredite vergeben, sondern vielmehr ihr Kreditvolumen herunterfahren, damit es wieder zu ihrem durch Verluste geschrumpften Eigenkapital passt.

Der „Bad Bank“-Plan der Bundesregierung ist gerade mal halbherzig. Die saubere Lösung besteht in einer vorübergehenden, leider vielleicht auch längeren Verstaatlichung der Banken – das würde die Solvenzproblematik und die Frage des Eigenkapitals auf einen Schlag lösen. Allerdings müsste der Staat massiv in die Geschäftspolitik eingreifen, also unprofitable Bereiche schließen, Mitarbeiter in großem Stil entlassen, einschließlich vieler Manager, auf Fusionen drängen, wo es dem Wettbewerb nicht schadet, und die Gehaltsstrukturen und Bonisysteme an die neuen Gegebenheiten anpassen. (Wie wäre es mit Angestelltengehältern à la öffentlicher Dienst? Banking ist kein geistig anspruchsvolles Hexenwerk und rechtfertig daher nicht die bislang üblichen Prämien.) Und dann die solcherart geschrumpften Banken privatisieren!

Ebenso wichtig ist, dass der Staat alles tun muss, damit die Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht schrumpfen. Sie müssten sogar trotz der katastrophalen Haushaltslage durch direkte und indirekte Subventionen gesteigert werden, denn auf die Qualität und Quantität des Humankapitals kommt es an beim Übergang zur Wirtschaftsstruktur der Zukunft. Wir brauchen noch mehr als bisher wissensintensive Arbeitsplätze. Wie wäre es, Frau Merkel, wenn Sie sich mal zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder vornähmen, dass die beste deutsche Universität innerhalb der nächsten zehn Jahre in der internationalen Rangliste auf Platz 20 vorrückt, von Platz 55 heute (Uni München)? Und dass die nächsten neun alle unter den 50 besten sind! Das ist mindestens ebenso wichtig, wie für eine sauberere Umwelt zu kämpfen.

Schließlich: So ungern ich es als Anhänger flexibler Wechselkurse tue, plädiere ich doch dafür, nicht jedwede Aufwertung des Euro hinzunehmen. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit darf nicht zu sehr unter einem überteuerten Euro leiden. Ich schätze, dass die Schmerzgrenze für Deutschland und die übrigen Länder des Euroraums bei 1,6 Dollar liegt. Sollte der Euro weiter zulegen wollen, müsste unbegrenzt interveniert werden. Bei Deflation macht das nicht viel, ist sogar nützlich, und wie wir gerade von Herrn Bernanke gelernt haben (nicht dass wir das nicht ohnehin gewusst hätten), verfügt die Notenbank über genügend Instrumente, mit denen sich die Inflation bekämpfen lässt. Remember: Nach der Weltwirtschaftskrise gab es das Festkurssystem von Bretton Woods, das uns dreißig Jahre Wohlstand und stabile Preise beschert hat, les trentes glorieuses (ich verkürze die Argumentation ein bisschen zu stark, ich weiß). Der Dollar müsste ja nicht wieder die Leitwährung sein!