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China muss nicht aufwerten

 

Paul Krugman hat vor ein paar Tagen in seiner New York Times-Kolumne darüber geklagt, dass Chinas schlechtes Benehmen für den Rest der Welt eine immer größere Bedrohung darstellt („The Chinese Disconnect„). Im Ernst, er verwendet den Ausdruck „bad behavior“. Um was geht es? Wieder einmal um die zunehmend „bizarre“ Strategie, den Yuan gegenüber dem Dollar stabil zu halten. China hat laut Krugman wegen der zeitweise unbegrenzten Dollarkäufe wesentlich zu der amerikanische Immobilienblase beigetragen und war daher für die globale Finanzkrise mitverantwortlich. Jetzt droht noch schlimmeres Ungemach: Weil die chinesische Regierung trotz der neuen Dollarschwäche, vor allem gegenüber dem Euro, weiterhin am bilateralen Wechselkurs von 6,83 Yuan pro Dollar festhält und die eigene Währung damit im Gleichschritt mit dem Dollar abwertet, nehme China anderen Ländern Nachfrage weg, obwohl die ohnehin überall „deeply depressed“ ist. Es stiehlt anderen Ländern ihre Jobs. Amerika brauche eine schwache Währung, um endlich sein Defizit im Außenhandel abzubauen, aber China mit seinem gewaltigen Überschuss sowie Devisenreserven von $2.273 Mrd. brauche das nicht.

Yuan/Dollar-Wechselkurs

Was also tun gegen diese Art von „beggar-thy-neighbor“-Politik? Krugman weiß es auch nicht. Ihm ist klar, dass China nicht mehr gegängelt werden kann. Aber irgendwas solle schon unternommen werden.

Das Dilemma ist, dass die USA ihre Rolle als Emittent der wichtigsten Reservewährung nicht aufgeben wollen, also die Vorteile, die sich daraus ergeben, dass im Ausland rund 300 Mrd. Dollar als Bargeld umlaufen, die sich de facto nie in konkrete Ansprüche gegenüber den USA verwandeln und auf die keine Zinsen zu zahlen sind. Hinzu kommen die Bestände an Treasury Bills von noch einmal etwa 600 Mrd. Dollar sowie Treasury Bonds und Notes von 1.800 Mrd. Dollar, die sich bei anderen Zentralbanken und „offiziellen Stellen“ befinden, plus deren Bestände an Anleihen der quasi-staatlichen Hypothekenfinanzierer FannieMae und FreddieMac. Solange der Dollar seinen Status als Reservewährung behält, brauchen diese entweder zinslosen oder im Vergleich zu alternativen Anlagen sehr niedrig verzinsten Kredite nicht in Form von Gütern, Dienstleistungen, Aktien und Immobilien zurückgezahlt zu werden. Ich habe einmal ausgerechnet, dass das Ausland den Amerikanern jährlich zwischen 0,1 und 0,2 Prozent ihres BIP „schenkt“.

Ich weiß, die Zahlen sind angreifbar, aber sie geben eine Vorstellung davon, warum es sich lohnt, Reservewährungsland zu sein – und warum die USA auch nicht im Traum daran denken, ihrerseits massiv andere Währungen gegen Dollar zu kaufen und ihn auf diese Weise zu entwerten.

Es wäre zudem wegen der chinesischen Kapitalverkehrskontrollen und des unterentwickelten Geldmarkts auch gar nicht möglich, Yuanbestände aufzubauen. Mit dem Euro, dem Yen oder dem Pfund ginge es, weil es da Anlagemöglichkeiten gibt. Wenn die Machthaber in Peking also nicht mitspielen und ihre Märkte nicht öffnen, haben die Amerikaner nichts in der Hand, mit dem sie eine Abwertung gegenüber dem Yuan bewerkstelligen könnten.

Die Frage ist außerdem, ob ein stärkerer Yuan tatsächlich wünschenswert ist. Aus deutscher Sicht ist bislang vor allem wichtig, dass China weiter kräftig wächst, und sei es mit Hilfe einer unterbewerteten Währung. In den sechs Monaten bis Juli 2009 sind unsere Warenexporte nach Asien mit einer annualisierten Rate von knapp 50 Prozent gestiegen, was angesichts des starken Euro eine geradezu sensationelle Zahl ist. Gegenüber China, dem dynamischsten und nach Japan größten Land der Region war die Zuwachsrate vermutlich noch viel höher. Für uns ist der Einkommenseffekt, also die Wachstumsdifferenz zwischen China und Europa, offenbar viel wichtiger als der Preiseffekt – der Nachteil durch die Aufwertung des Euro gegenüber dem Yuan – bisher jedenfalls. Nach wie vor sind deutsche Produkte glücklicherweise nicht sehr preiselastisch, wie Ökonomen das ausdrücken würden. Das gilt übrigens auch für Japan. China ist der Wachstumsmotor für die anderen Länder Asiens und für alle jene, die die richtigen Produkte im Angebot haben, seien es Kapitalgüter, Konsumgüter oder Rohstoffe.

Yuan/Euro-Wechselkurs

Ich plädiere dafür, dass China seine Wachstumsstrategie beibehält. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wird in diesem Jahr trotz des rasanten Wachstum nur bei etwa €2.360 liegen. Sowohl in den USA als auch in Deutschland dürften es beim heutigen Wechselkurs jeweils 12,4 mal mehr sein. Der Nachholbedarf ist also gewaltig, und wenn sich das Wachstum mit Raten von 8 Prozent (oder mehr) fortsetzt, wird sich das in immer höheren Einfuhren niederschlagen, was der übrigen Welt, die an mehr Jobs interessiert ist, in Form von Arbeitsplätze schaffenden Exporten zugute kommt. Warum muss allein der amerikanische Konsum der Wachstumsmotor der Welt sein? Er kann es wegen der Überschuldung der Haushalte ohnehin auf absehbare Zeit nicht mehr sein.

Das Argument, China müsse seine Inlandsnachfrage stärken, das Krugman und andere Amerikaner immer wieder vorbringen, klingt für mich ziemlich schief. Es ist richtig, dass der private Verbrauch nur einen Anteil von 35,3 Prozent am nominalen BIP hat (2008), halb so viel wie in den USA, er wächst aber etwa genauso rasch wie dieses – im vergangenen Jahr waren es im Vorjahresvergleich 16,2 Prozent. Noch rascher nehmen allerdings die Investitionsausgaben zu, und das bei einer Investitionsquote von 43,5 Prozent, was doppelt so hoch ist wie in den OECD-Ländern. Die Inlandsnachfrage leistet schon längst einen größeren Beitrag zum Wachstum als der Außenhandel.

China folgt bisher den Wachstumsmodellen Deutschlands und Japans nach dem Krieg: viel sparen, viel investieren, sich dem Weltmarkt öffnen, sich in der Wertschöpfungskette allmählich nach oben bewegen und dabei für ein paar Jahrzehnte durch Kapitalverkehrskontrollen und Interventionen am Devisenmarkt darauf achten, dass der Wechselkurs nicht überschießt. In Japan und Deutschland hat es funktioniert, ohne dass jemand zu Schaden gekommen wäre. In China ist das Potential angesichts einer Bevölkerung von 1,3 Mrd. und einem äußerst niedrigen Ausgangsniveau sogar noch viel besser.

Krugman beschäftigt sich im Grunde mit einem Problem, das selbst aus amerikanischer Sicht keines ist. Das amerikanische Handelsbilanzdefizit vermindert sich weiterhin rapide, trotz stabilem Wechselkurs des Dollars gegenüber dem Yuan, und könnte sich innerhalb der nächsten zwei Jahre sogar in einen Überschuss verwandeln, wenn es bei dem bisherigen Trend bleibt. Das ist vor allem eine Folge des international relativ schwachen amerikanischen Wachstums, das wiederum eine Folge der Entschuldungsprozesse ist, die im Haushaltssektor ablaufen. Die USA leben nicht mehr so sehr über ihren Verhältnissen wie früher – vielleicht leben sie demnächst sogar unter ihren Verhältnissen und entwickeln sich auf diese Weise zu Netto-Kapitalexporteuren, so wie man es vom reichsten Land der Welt eigentlich erwarten darf.