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Die Mär von der Entstofflichung

 

Als ich – es ist inzwischen lange her – an die Universität kam, war gerade die so genannte Entstofflichungsthese populär. Elmar Altvater und andere argumentierten, die Finanzwelt habe sich ganz und gar von der realen Wirtschaft entkoppelt und führe ihr destruktives Eigendasein. In diesen Zeiten, wen wundert es, hört man ähnliches.

Doch um mit einem früheren Bundesaußenminister zu sprechen: I am not convinced.

Nehmen wir das Beispiel Subprime: Da wurden also Kredite vergeben an Menschen, die es sich nicht leisten können, die Darlehen wurden zerstückelt und verpackt, auf der ganzen Welt verteilt und viele Banker sind dabei unermesslich reich geworden – aber es waren dennoch Kredite. Sie wurden verwendet, um Häuser zu bauen und Vorgärten anzulegen. Mehr Realwirtschaft geht nicht. Auch das Kapital, das nach Spanien, Irland und Griechenland floss, blieb nicht in der Finanzsphäre stecken. Damit wurden Flughäfen gebaut, Straßen und so weiter.

Ein Finanzprodukt mag noch so komplex sein – am Ende der Kette steht fast immer ein Kredit an die reale Wirtschaft. Der beste Beweis: Vor der Krise gab es einen ganz realen Boom, und zwar fast überall auf dem Globus. Davon haben vor allem in den Industriestaaten viel zu wenige profitiert, aber das ist ein anderes Thema.

Nun haben die Banken natürlich auch untereinander gezockt wie wild. Doch eine Menge dieser Positionen heben sich in der Zusammenschau auf. Deshalb halte ich auch nicht viel davon, auf Märkten wie dem für Credit Default Swaps mit den Bruttopositionen zu argumentieren, die bei 30000 Milliarden Dollar liegen. Das kürzt sich fast alles raus und am Ende bleibt nur ein Bruchteil übrig.

Wenn das so ist, dann haben wir es in erster Linie mit einem Allokationsproblem zu tun. Es war also nicht zu viel Kredit oder was auch immer da, sondern er wurde schlicht nicht an den richtigen Ort gelenkt. Man hat Häuser gebaut, statt das Produktionsvermögen zu erhöhen.

Wir müssen also nicht das Wachstum von Geldmenge und Kredit begrenzen, sondern die Ressourcen effizienter zuteilen. Dabei – und nicht bei der Bereitstellung des Kreditvolumens – haben die Finanzmärkte versagt.

Wenn die Banken – und andere Investoren – jetzt darunter leiden, dass die Realwirtschaft die Ansprüche nicht mehr bedienen kann, die im Finanzsektor aufgebaut wurden, dann liegt das schlicht daran, dass das Geld versenkt wurde. Eine grundsätzliche Kritik an unserem Geldsystem lässt sich daraus nur schwer ableiten.