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Inflation ist gut für die Demokratie

 

Es war ja nicht anders zu erwarten. Der Vorschlag des Internationalen Währungsfonds, die Zentralbanken sollten künftig eine höhere Teuerungsrate tolerieren, kommt in Deutschland, dem Land der Inflationsneurotiker, gar nicht gut an. Für Bundesbankpräsident Axel Weber spielt der IWF mit dem Feuer, Jürgen Stark is not amused und mein Kollege Henrik Müller meint gar, Inflation zerstöre die Demokratie.

Ich glaube, das Gegenteil ist richtig: Zu wenig Inflation zerstört die Demokratie.

Robert von Heusinger hat an dieser Stelle gestern auf die wissenschaftstheoretischen Implikationen des IWF-Papiers hingewiesen, mir geht es hier nur um die Inflation.

Zunächst ein kleiner Grundkurs in Geschichte: Nicht die Hyperinflation Anfang der zwanziger Jahre hat Hitler an die Macht gebracht, sondern die deflationäre große Depression Ende der zwanziger Jahre. Damals gab es zu wenig Inflation, nicht zu viel – und wenn die Zentralbanken ordentlich Geld gedruckt hätten, wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen.

Nicht ganz richtig ist übrigens auch die oft wiederholte aber selten nachgeprüfte These, wonach eine Inflation vor allem den kleinen Leuten schadet. Die Bezieher von Lohneinkommen kommen in der Regel ganz gut weg (weil die Löhne zumeist mit der Inflation steigen), die Vermögen aber lösen sich in Luft auf. Umfassende wissenschaftliche Analysen wie die der Wirtschaftshistorikers Carl-Ludwig Holtfrerich bestätigen diese theoretische Vermutung. Sie zeigen, dass nicht die mittleren und kleinen, sondern die ganz großen Einkommen und Vermögen vernichtet wurden. Die Einkommen in Deutschland waren 1928 wesentlich gleichmäßiger verteilt als 1913!

Keine Frage: Die Hyperinflation war schlimm, aber es gibt schlimmeres. Und Blanchard et. al. haben auch keine Hyperinflation vorgeschlagen. Sie dachten nur zart darüber nach, ob das Inflationsziel von unter zwei Prozent, dass die Europäische Zentralbank derzeit verfolgt, auch wirklich so sinnvoll ist. Und daran muss man in der Tat zweifeln. In den fünfziger und sechziger Jahren jedenfalls lag die Inflationsrate in Deutschland jedenfalls fast immer über zwei Prozent. 1951 hatten wir 7,5 Prozent.

Zur Erinnerung: Das war die Zeit des Wirtschaftswunders. Nie wieder ging es uns so gut wie damals. Richtig heruntergeprügelt wurde die Inflation Mitte der neunziger Jahre. Damals ging es mit Deutschland bergab. Ich will hier nicht so weit gehen, eine Korrelation zwischen Wachstum und Inflation zu postulieren – aber das Argument, dass drei, vier oder fünf Prozent gefährlich sind, ist durch nichts belegt.

Kommen wir zum letzen Argument der IWF-Kritiker. Wer glaube, die Inflation lasse sich beliebig steuern, so sagen sie, der unterliege einem Machbarkeitswahn. Meine Erfahrung mit solchen Debattenbeiträgen (und ich habe in Freiburg studiert, where institutions do matter): Wenn Ökonomen die inhaltlichen Argumente ausgehen, weichen sie auf die politische Ökonomie aus (da wiederum wirken ihre Theorien gegenüber denen der Soziologen naiv). Gerade in der konservativen Ecke ist das eine populäre Strategie – mich überzeugt sie nicht.

Eine Zentralbank, die die Inflation bei zwei Prozent stabilisieren kann, kann sie auch bei vier Prozent stabilisieren. Wenn nicht, hat eben das Management versagt und wird ausgetauscht! Wir schicken Raketen zum Mond, da werden die Herren Notenbanker wohl doch die richtige Dosis Inflation hinbekommen.

Inflation ist keine Gefahr, sondern eine Chance – gerade in Europa: Denn Wenn die EZB wirklich die Teuerungsrate um jeden Preis unter zwei Prozent halten will, möchte ich sehen, wie die Anpassung der Ungleichgewichte funktionieren soll.

Diese bestehen ja darin, dass die Deutschen Lohnstückkosten deutlich langsamer gestiegen sind als sagen wie die griechischen. Grob gesagt müssen also die griechischen Löhne runter und die deutschen rauf.

Wenn die Inflationsrate im Euro-Raum insgesamt nicht steigen darf, müssten Griechenland und andere ihre Löhne durch die Bank nominal kürzen, um das Ziel zu erreichen. Das würde Deflation in ganz Südeuropa bedeuten. Viel Spaß dabei.

Wenn die Notenbank mehr Spielraum zulassen würde, dann würde die Inflation die Senkung der realen Löhne ganz automatisch und ohne Kürzungen bewerkstelligen (natürlich müssten die Gewerkschaften anders als in den zwanziger Jahren den Reallohnverzicht akzeptieren. Das ist nicht leicht, aber immer noch leichter als ein nominaler Lohnverzicht).

Es ist genau andersherum als Weber und seine Mitstreiter meinen: Wer in Krisenzeiten rigide Inflationsziele durchsetzen will, der gefährdet die Demokratie – und die Einheit Europas.