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Nie wieder 1992

 

Warum brauchen wir den Euro? Warum haben wir uns auf das Abenteuer Gemeinschaftswährung überhaupt eingelassen? Warum haben vor allem „progressive“ Ökonomen das Projekt unterstützt? Das sind Fragen, die wir uns heute stellen müssen, wo so viel vom Irrtum der Währungsunion die Rede ist.
Ich gestehe: Ich habe dem Euro immer das Wort geredet. Schon in meiner Diplomarbeit 1993/94!!! Natürlich aus ganz anderen Gründen als die deutsche Industrie, die jetzt mit ihrer Kosteneffizienz alle anderen Länder platt macht. Ich bin geprägt von 1992.

1992? Das sagt Ihnen nichts? Das war das Jahr der Jahre, in dem Deutschlands Niedergang begann und die Idee der Gemeinschaftswährung in den Ländern außerhalb Deutschlands, der „Peripherie“, unheimlich an Popularität gewann.

Warum? Weil die Deutsche Bundesbank in einer Panikattacke den Leitzins bis auf 8,75 Prozent erhöht hatte – ohne auch nur den Hauch von Verantwortung für die anderen EWS-Währungen zu zeigen. Für alle jungen Leser: Das EWS steht für Europäisches Währungssystem und war der Vorgänger der Währungsunion. Im EWS gab es nahezu fixe Wechselkurse, die nur in ganz engen Bandbreiten schwanken durften. Aber: Die Wechselkurse waren anpassbar, sodass Auf- und Abwertungen möglich waren. Die Leitwährung war die D-Mark und alle anderen Währungen, also der Franc, die Lira oder das Pfund, mussten die Geldpolitik der Bundesbank nachahmen, wollten sie den Wechselkurs verteidigen.

Das Problem an der unverantwortlichen Zinspolitik Helmut Schlesingers, so hieß der damalige Bundesbankpräsident, war der Zeitpunkt seiner einsamen Entscheidung. Amerika befand sich bereits Ende 1990 in der Rezession, der Rest Europas seit Mitte 1991. Nur Deutschland hatte dank des Wiedervereinigungsbooms eine Sonderkonjunktur. Die restriktive Zinspolitik der Bundesbank verschlimmerte den Abschwung in den anderen EWS-Ländern und erhöhte dort die Arbeitslosigkeit. Das hat mich damals unheimlich aufgeregt.

Aber es kam noch schlimmer: Als es für die Spekulanten offensichtlich wurde, dass kaum ein Land dem irren Zinskurs von Schlesinger würde folgen können, da stürzten sich die Spekulanten auf die Währung, die damals am wackeligsten aussah. George Soros gewann damals mit seiner Wette gegen das Pfund mehr als eine Milliarde Dollar. Aber auch die Lira, die Peseta und andere Währungen überlebten den Sturm der Spekulanten im August/September 1992 nicht. Die Folge: Es kam zu einer Anpassung der Wechselkurse. Fast alle Währungen mit Ausnahme des D-Mark-Blocks (holländischer Gulden, belgischer Franc, österreichischem Schilling) werteten gegenüber der D-Mark ab, um wieder ein wenig Luft zum Wachsen zu bekommen. Die Briten verabschiedeten sich komplett von der Idee einer gemeinsamen Wechselkurspolitik.

Warum erhöhte die Bundesbank so drastisch die Zinsen? Weil Schlesinger Inflation fürchtete. Die Bundesbanker vermuteten von jeher hinter jedem Kieselstein Inflationsgefahren. Und als im Zuge des Einigungsbooms, die Inflation tatsächlich mal kurz über vier Prozent lag, da schlug Schlesinger zu. Und zerstörte alles: Den Boom, die Aussicht auf blühende Landschaften im Osten, das EWS.

Die deutsche Volkswirtschaft, die ein leichtes Ausschwitzen der Schulden der Wiedervereinigung via Inflation hätte gut gebrauchen könne, die mit höherem Wachstum die Restrukturierung Ostdeutschlands viel besser gemeistert hätte, stand vor einem Scherbenhaufen. Abschwung im Inland und Euroland, rasant steigende Staatsschulden wegen Vereinigung und Abschwung, zu hohe Löhne in Ostdeutschland und dazu noch ne satte Aufwertung der D-Mark um circa 20 Prozent. Damals schossen die Lohnstückkosten dank Schlesinger derart in die Höhe, dass es gut 13 Jahre dauerte bis die Überbewertung der D-Mark wieder abgebaut war.

13 Jahre kaum Wachstum, nur Sozialstaatskürzungen und Entbehrungen, weil die Bundesbank dem Kampf gegen jede noch so kleine Inflation alles unterordnet.

Genau deshalb war und bin ich für den Euro. Nie wieder 1992! Entmachtet die Bundesbank! Ich wünschte mir eine Europäische Zentralbank, die das gesamte Währungsgebiet in den Blick nimmt (was die reale EZB tatsächlich tut). Ich wünschte mir aber auch mehr makroökonomische Sensibilität und weniger Inflationsfurcht an der Spitze der Notenbank (dieser Wunsch harrt leider noch immer der Erfüllung).