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Wer hier wie rechnet

 

Bernd Lucke hat hier im Blog auf meine Kritik an den Zahlen des Ökonomenplenums reagiert und seinerseits meinen Beitrag kritisiert. Darüber – und das ist ganz ehrlich gemeint – freue ich mich. Das Thema ist wichtig und eine offene Debatte ist genau das, was das Land braucht. Es ist gut, wenn sich Journalisten und Ökonomen daran beteiligen. Ein scharfer Ton gehört dazu, auch wenn uns einige nun Polemik vorwerfen. Wir sind schließlich nicht im volkswirtschaftlichen Seminar, sondern wollen Politik beeinflussen. Das gilt für die Ökonomen wie für die Autoren in diesem Blog.

Mein zentraler Kritikpunkt an dem Aufruf: Ich halte es für problematisch mit der Aussage, das Volumen des Fonds übersteige den gesamten Refinanzierungsbedarf der Krisenländer um 80 Prozent, den Eindruck zu erwecken, die Debatte über eine Vergrößerung des Schirms sei Humbug. Daran halte ich fest.

Nun aber zu den Details:

1. Lucke wirft mir vor, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, weil das Plenum sich nur auf den Refinanzierungsbedarf – also den Bedarf für die Ablösung bestehender Schulden – im engeren Sinne in Höhe von 310 Milliarden Euro bezog, während ich mit dem Finanzbedarf – also inklusive neuer Schulden – insgesamt argumentiere. Die Passage ist in der Tat missverständlich formuliert, das räume ich ein. Ich weise allerdings darauf hin, dass in den Zahlen, auf die ich mich beziehe, auch die Kosten der Bankenrettung enthalten sind. Die Quelle ist angegeben und überdies verlinkt.

Der Punkt ist: Die 310 Milliarden – und selbst über die kann man streiten: Christian Kopf von Spinnacker Capital taxiert den zur Bedienung der Altschulden nötigen Betrag auf 432,6 Milliarden Euro (inklusive Zinszahlungen) – sind für den hier diskutierten Sachverhalt irrelevant. Die Länder hören ja nicht plötzlich auf, Schulden zu machen und die Banken werden nicht plötzlich gesund. Es ist ja nicht so, dass es dazu keine Zahlen gäbe. Diese deuten darauf hin, dass das Geld knapp werden könnte und das die Mittel schon gar nicht für weitere Länder reichen. Indem die Ökonomen sich nur auf einen Teil des Bedarfs beziehen und dann eine gewaltige Überdeckung ableiten, suggerieren sie eine Sicherheit, die es nicht gibt.

Man muss sich bei der Abschätzung des Finanzbedarfs übrigens auch nicht unbedingt auf die Banken verlassen (obwohl ich die Volkswirte bei Goldman und der Deutschen Bank für exzellent halte und ihnen in dieser Debatte kein Eigeninteresse unterstelle). Der IWF beispielsweise taxiert im WEO die Nettokreditaufnahme Spaniens von 2011 bis 2013 auf 206,8 Milliarden Dollar und liegt damit sogar über Goldman. Warum werden die relevanten Zahlen nicht herangezogen?

2. Aber auch wenn ich Äpfel mit Äpfeln vergleiche, also einen Finanzierungsbedarf von 310 Milliarden Euro annehme, sind die 80 Prozent nicht zu halten. Denn unterstellt wird dabei ein Volumen des Schirms von 552 Milliarden Euro (308 Milliarden aus dem EFSF, 60 Milliarden aus dem EFSM und 184 Milliarden vom IWF). Das effektive Ausleihvolumen des EFSF liegt jedoch – und das sagen sowohl die Ratingagenturen als auch der Fonds selbst – bei rund 250 Milliarden Euro. Denn es mussten eine Menge so genannter credit enhancements vorgenommen werden, um das AAA Rating zu sichern. André Kühnlenz hat die entsprechenden Angaben von Fitch

The ‚AAA‘ rating is based on the credit enhancement provided by the ‚overguarantee‘ mechanism and cash reserves.

Dadurch wird der ausleihbare Betrag vermindert. Damit komme ich auf ein maximales Volumen von 465 Milliarden Euro – plus oder minus ein paar Milliarden. Man kann die 250 Milliarden natürlich anzweifeln und den Beteiligten vorwerfen sie manipulierten ihre Zahlen, aber dann müsste man mehr bieten als bloße Anschuldigungen. Sonst nähern wir uns dem Bereich der Verschwörungstheorie. Die 80 Prozent sind also nur schwer zu halten.

Und noch ein Wort zu dem Aufruf insgesamt. Man kann lange darüber diskutieren, ob die Rettungsaktionen grundsätzlich sinnvoll sind oder nicht und hier teile ich einige Einschätzungen der Ökonomen, während ich andere ablehne (die Vorstellung beispielsweise, ein Staat, der nicht insolvent, sondern illiquide ist, könne sich mit seinen Gläubigern auf eine barwertneutrale Restrukturierung einigen. Das setzt ein Maß an Rationalität voraus, das in der Praxis nicht gegeben ist. Wenn es so wäre, bräuchten wir auch keinen IWF).

Es geht in unserer Auseinandersetzung aber nicht um die Frage, ob der Schirm an sich wünschenswert ist, sondern darum, ob er groß genug ist. Und hier ist die Selbstsicherheit, mit der die Ökonomen behaupten, das Geld reiche schon, irritierend.