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Warum ich Hans-Werner Sinn kritisiere

 

Mein letzter Beitrag hat einige Aufmerksamkeit erregt. Ein Kommentator fragte, wie ich es mir anmaßen könne, „einen der renommiertesten Ökonomen des Landes“ widerlegen zu wollen. Ich halte Sinn tatsächlich für einen großen Ökonomen. Wenn das ein Argument wäre,  dann hätte ich allerdings meinen Beruf verfehlt. Es ist die Aufgabe des Journalismus, die Mächtigen zu kontrollieren. Und auch Ökonomen können mächtig sein. Ich kritisiere übrigens auch Schlussfolgerungen der G20 oder Regierungserklärungen oder Geschäftspläne der Deutschen Bank – wenn ich glaube, dass sie kritikwürdig sind.

Und weil es ziemlich durcheinandergeht, hier noch einmal eine Zusammenfassung dessen, was ich behaupte – und was ich nicht behaupte.

1. Ich behaupte NICHT, dass durch die Refinanzierungsgeschäfte der EZB keine Risiken für die Bilanz der Zentralbank entstehen. Natürlich steigt das Ausfallrisiko, wenn die Sicherheitsanforderungen gesenkt werden, wie es geschehen ist. Aber das hat mit den nationalen Target 2 Salden, um die es hier geht, nicht viel zu tun.

2. Ich behaupte NICHT, dass die deutschen Nettokapitalexporte nichts mit der Investitionsschwäche der vergangenen Jahre zu tun haben. Ich glaube in der Tat, dass diese These, die Sinn vertritt, falsch ist. Denn ich finde empirisch keinen Beleg dafür, dass Restriktionen beim Kapitalangebot die Investitionstätigkeit beeinflusst haben sollen. Und mir ist nicht klar, wie man erklären will, dass es jetzt wieder besser läuft, wo ja immer noch Kapital abfließt, denn Deutschland hat immer noch einen Leistungsbilanzüberschuss. Zudem habe ich Zweifel an der theoretischen Position, wonach es einen ex ante fixen Topf von Ersparnissen gibt, um den die Länder konkurrieren (sondern begreife die Ersparnis als ex post entstehend und die Absatzchancen als Determinante der Investitionsentwicklung). Das war aber der Inhalt meines ersten Beitrags. Im zweiten ging es um ein anderes Thema.

3. Es ging um die von Sinn aufgestellte These, wonach in Deutschland weniger Kredite ausgegeben werden können, weil über Target von der Bundesbank Zentralbankliquidität in die PIGS-Staaten abflösse, die dann in Deutschland fehle. Oder, wie es Sinn für den Fall Irland formuliert.

Die Bundesbank verzichtet auf eine innerdeutsche Kreditvergabe zugunsten einer Kreditvergabe über die irische Notenbank.

Einmal davon abgesehen, dass man besser nicht das Beispiel Irland wählen sollte, um die Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten durch die EZB anzuprangern, weil Irland inzwischen einen Leistungsbilanzüberschuss hat – unter bestimmten Annahmen (unter anderem eine strikte Geldmengensteuerung durch die Zentralbank) kann es dazu möglicherweise sogar so kommen. In der geldpolitischen Praxis der EZB nicht. Hierzu die Bundesbank:

Fließen beispielsweise einer über die Bundesbank an TARGET2 teilnehmenden Bank Gelder aus dem Ausland zu, führt dies bei der Bundesbank zu Verbindlichkeiten gegenüber dieser Bank (…). Im Gegenzug entsteht eine Forderung der Bundesbank in gleicher Höhe gegenüber der sendenden nationalen Zentralbank. Diese wiederum belastet das Konto der sendenden Geschäftsbank. Dies erfordert ein ausreichendes Guthaben an Zentralbankgeld der sendenden Bank. Zentralbankguthaben werden primär durch die geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems bereitgestellt.

In den Jahren vor der Finanzkrise haben sich die grenzüberschreitenden Zahlungen Deutschlands weitgehend ausgeglichen. (…) Dies änderte sich in der Finanzkrise. Während deutschen Banken (…) weiter Gelder aus dem Ausland zuflossen, waren sie krisenbedingt weniger bereit und teilweise auch nicht in der Lage, diese am Interbankenmarkt an ausländische Institute auszuleihen. Statt dessen führten sie – jedenfalls im Aggregat – nach und nach ihre Refinanzierungsgeschäfte bei der Bundesbank zurück. Lag beispielsweise das auf deutsche Institute entfallende Refinanzierungsvolumen Anfang 2007 noch bei 250 Mrd €, so ist diese Position bis Ende 2010 auf 103 Mrd € zurückgegangen Umgekehrt erhalten Banken in einer Reihe anderer EWU-Länder seitdem verstärkt Zentralbankgeld über das Eurosystem.

Die deutschen Banken haben also in der Tat weniger Geld von der EZB aufgenommen, aber nicht, weil sie nicht konnten, sondern weil sie nicht MUSSTEN. Denn ihnen ist massiv Liquidität aus dem Ausland über den Geldmarkt zugeflossen. Das wiederum passt zu der von mir erwähnten empirischen Beobachtung, dass ich keine Bank kenne, die wegen des Mangels an Zentralbankliquidität ihre Kredite an den Privatsektor einschränken musste. Bei Vollzuteilung, wie wir sie derzeit haben, kann das ohnehin nicht passieren. Die großzügige Geldpolitik der EZB mag viele Probleme mit sich bringen, definitiv behindert sie nicht die Kreditvergabe in Deutschland. Eine gute Analyse des Problems mit einer ähnlichen Schlussfolgerung wie meiner findet sich auch im Irish Economy Blog.

Meine Vermutung ist, dass Sinn nicht ausreichend berücksichtigt, dass Geld im Sinne von M3 in einem modernen Finanzsystem nicht von der Zentralbank, sondern von der Geschäftsbank geschöpft wird, nämlich im Akt der Kreditvergabe. Aber das ist zugegebenermaßen Spekulation.

4. Ich behaupte NICHT, dass der Euro eine gute Sache ist. Ich bin der Überzeugung, dass es ein historischer Fehler wäre, ihn aufzugeben, aber das war nicht Thema meines Beitrags.

PS: Um es deutlich zu sagen. Für alle Punkte, die hier angesprochen sind, ist Target 2 irrelevant. Die Target 2 Debatte ist ein Kartenhaus – hoffen, wir, dass es bald zusammenkracht.