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McKinseys Lektionen für die schwäbische Hausfrau

 

In diesen Tagen, in denen der Internationale Währungsfonds die Bundesregierung zum Geldausgeben animieren will, ist in den deutschen Medien häufig vom transatlantischen Glaubenskrieg in der Wirtschaftspolitik zu lesen. Auf der einen Seite die Amerikaner, die immer nur neue Schulden auf die alten türmen, was langfristig in den Abgrund führt. Und auf der anderen Seite die Deutschen, die das Schuldenproblem endlich in Angriff nehmen und den Weg in einer bessere Zukunft beschreiten.

Hier die soliden Deutschen, dort die unverantwortlichen Amerikaner. Das klingt so schön und so einfach und es bestätigt so viele Vorurteile – aber stimmt es auch?

In diesem Zusammenhang ist die neue Studie von McKinsey zum Schuldenabbau interessant (über die in der deutschen Presse kaum berichtet wurde). Die Experten von McKinsey haben sich angesehen, wie weit der Prozess des Schuldenabbaus in den verschiedenen Ländern und Regionen fortgeschritten ist. Hier die Ergebnisse:

Chart: Deleveraging

Erstaunlich: Die USA haben ihre Schuldenquote – private und staatliche Schulden zusammengenommen – stärker reduziert als viele europäische Nationen. In den USA sank die Schuldenquote von 296 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2008 auf 279 Prozent im Jahr 2011. In Spanien hingegen stiegen die Schulden von 337 auf 363 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dort sind die Haushalte anders als in den USA beim Schuldenabbau kaum vorangekommen. Und auch in Italien steigt die Schuldenquote.

Das ist für sich genommen schon einmal ein interessantes Ergebnis, gemessen an der Debatte in Deutschland. Aber es wird noch spannender. Denn die Haushaltspolitik in den USA war ja keineswegs restriktiver als in Europa, zumindest wenn man den Daten der OECD glaubt:

Grafik: Strukturelles Defizit - US-SP-IT 2008-2011

Dieser Chart zeigt die Veränderung der konjunkturbereinigten Defizite, ein Maß für den Expansionsgrad der Finanzpolitik (eine Ausweitung entspricht einer expansiven, eine Rückführung einer restriktiven Politik). In Italien hat die Fiskalpolitik so gut wie gar nicht gegengesteuert. In Spanien gab es einen kurzen Impuls gefolgt von einer restriktiven Politik, während die USA erheblich mehr Gas gaben (wenn auch nicht so viel wie oft angenommen).

Was lernen wir daraus? Schulden können tatsächlich mit Schulden bekämpft werden – das hätte sich die schwäbische Hausfrau wohl nie träumen lassen. Dabei ist es ist keine Hexerei. Ob die Schulden eines Landes tragfähig sind, hängt vom Niveau der Verbindlichkeiten und dem Einkommen ab. Wenn jeder spart und die Wirtschaft dadurch abgewürgt wird, dann sinkt das Einkommen. Und dann verschlechtert sich möglicherweise die Schuldentragfähigkeit, obwohl doch alle kürzer treten. Wächst die Wirtschaft hingegen, dann sind die Schulden auf einmal verkraftbar.

Es geht natürlich um die Grundeinsicht der Makroökonomie – was für jeden einzelnen rational ist, kann auf kollektiver Ebene ins Desaster führen. Aber in Deutschland ist Moral wichtiger als Makroökonomie, und daran leidet die hiesige Debatte.

Wir geißeln eine aktive Konjunkturpolitik lieber aus grundsätzlichen Erwägungen als unverantwortlich, statt uns damit zu beschäftigen, ob und unter welchen Umständen sie möglicherweise ein sinnvolles Instrument sein kann. Schließlich kann man damit viele gehässige Leitartikel füllen – und wir Journalisten müssen ja zum Glück nie die Konsequenzen unseres Tuns tragen.