Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Draghis Dicke Bertha

 

Mario Draghi hat wieder zugeschlagen. 530 Milliarden Euro haben sich die Banken beim heutigen Dreijahrestender (LTRO) geliehen, das bringt die Gesamtsumme der Operation auf 1.019 Milliarden Euro. Ich war anfangs skeptisch, was die Wirksamkeit des Manövers angeht, weil ich davon ausgegangen war, dass die Banken das Geld gleich wieder bei der Zentralbank deponieren. Aber inzwischen habe ich meine Meinung geändert. Die LTRO ist vielleicht einer der cleversten Schachzüge der Zentralbankgeschichte.

1. Er ist eine taktische Meisterleistung: Ein gemeinsamer Währungsraum braucht einen lender of last resort – also eine Institution, die noch Geld in den Taschen hat, wenn alle anderen ihr Geld abziehen –, sonst liefert er sich völlig den Marktkräften aus.  Es hätte einen Aufschrei in Deutschland gegeben, wenn die EZB die Staatsanleihen direkt gekauft hätte. Deshalb verteilt Draghi das Geld über die Banken. Das beruhigt die Deutschen. Wir haben es hier mit einem klassischen Dilemma zu tun: Die Zentralbank könnte die Liquidität auch denen geben, die sie benötigen – also klammen Staaten oder Unternehmen. Doch dann begibt sie sich in den Bereich der Kreditallokation, der in einer Marktwirtschaft den privaten Banken übertragen ist, was zu Streuverlusten führt. Das kann man ändern, aber es wäre ein gewaltiger Schritt.

2. Die Liquiditätsinjektion ist massiv. Insgesamt beläuft sich der Nettozuwachs an Zentralbankgeld durch die beiden Operationen auf 520 Milliarden Euro. Die EZB hat die Fed als weltgrößte Geldmaschine abgelöst.

Grafik: Bilanzsumme des Eurosystems und der Fed

3. Das viele Geld wirkt. Den Banken steht frei, was sie mit der zusätzlichen Liquidität finanzieren. Die größeren werden Staatsanleihen kaufen, die kleineren vielleicht sogar den ein oder anderen Unternehmenskredit verlängern. Beides ist hilfreich. Und auch der psychologische Effekt ist von enormer Bedeutung. Die EZB hat dafür gesorgt, dass der Zusammenbruch einer Bank im Währungsraum unwahrscheinlich geworden ist. Dadurch können sich einige Banken auch wieder privat refinanzieren.

4. Es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass das zusätzliche Zentralbankgeld inflationär wirkt. Der Grund liegt auf der Hand: Das Zentralbankgeld ist nur ein Element der Geldversorgung einer Wirtschaft. Das meiste Geld schöpfen die privaten Banken – und die halten sich immer noch zurück. Während die Geldbasis (das Zentralbankgeld) explodiert, stagniert die breite Geldmenge M3.

Grafik: Geldbasis und M3 in der Waehrungsunion

Klar: Irgendwann wird sich die Wirtschaft wieder stabilisiert haben und dann springt auch die Geldschöpfung der Banken wieder an. Doch dann ist es technisch überhaupt kein Problem, dem System die Liquidität wieder zu entziehen. Nach drei Jahren müssen die Zentralbankkredite sowieso zurückbezahlt werden.

5. In Deutschland ist dieser Zeitpunkt wahrscheinlich viel früher erreicht als im Rest der Euro-Zone. Doch dafür gibt es die neuen antizyklischen Regulierungsinstrumente. Wenn also hierzulande eine Immobilienblase oder ähnliches droht, dann muss die Bafin einschreiten und die Eigenkapitalanforderungen heraufsetzen – die EZB kann nicht den Süden vertrocknen lassen, nur weil im Norden eine Flut droht.

6.  Natürlich werden durch das billige Geld auch Banken durchgefüttert, die eigentlich verschwinden müssten. Aber darum müssen sich die Aufsichtsbehörden kümmern.

7. Die Risiken für die Zentralbankbilanz steigen natürlich, weil mehr Kredite vergeben werden und die Qualität der Sicherheiten tendenziell abnimmt (auch wenn die Notenbank auf diese Abschläge vornimmt und die Pfänder zu Marktpreisen bewertet). Nur: Jedes Handeln ist mit Risiken verbunden – auch das Nichthandeln. Politik – und das unterscheidet sie von der Wissenschaft und dem Leitartikelschreiben –  besteht in der Abwägung der Risiken. Wenn es durch die Geldschwemme der EZB gelingt, den Währungsraum zu stabilisieren, dann ist das für die deutschen Steuerzahler sicherlich billiger, als wenn er ordnungspolitisch korrekt zerbricht.