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Die Inflationslüge

 

Mein Buch ist da: Die Inflationslüge, erschienen bei Droemer Knaur, 140 Seiten, 7 Euro. Für alle Leser des Blogs ein kleiner Auszug daraus:

„Am 13. Oktober 1931 gibt Reichskanzler Heinrich Brüning im Berliner Reichstag eine Regierungserklärung ab. Brüning betreibt eine eiserne Sparpolitik. Er hebt die Steuern an und kürzt staatliche Leistungen, er kürzt Löhne und Gehälter. Die Generalaussprache im Reichstag aber hat praktisch nur ein Thema: die Inflation. Der Abgeordnete Johann Leicht von der Bayerischen Volkspartei dankt Brüning dafür, dass er »unter keinen Umständen einer neuen Inflation die Wege ebnen« werde. Joseph Joos von der Zentrumspartei meint: »Legen Sie uns die härtesten Maßnahmen auf, aber lassen Sie das nicht zu.«

Das war im Jahr 1931, wohlgemerkt. Damals waren in Deutschland bereits 4,5 Millionen Menschen ohne Arbeit – und die Preise sanken um 8,1 Prozent. Für den Historiker Knut Borchardt ist klar, dass »in der Weltwirtschaftskrise in Deutschland eine Inflationsangst verbreitet war, die den Handlungsspielraum der wirtschaftspolitischen Instanzen eingeschränkt hat«. Diese Angst hat zum Beispiel dazu geführt, dass beschäftigungspolitische Maßnahmen bewusst knapp dimensioniert wurden, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, sie schürten die Inflation.

Zwei Jahre nach Brünings Rede war die Weimarer Republik am Ende. Nicht die Hyperinflation der zwanziger, sondern die schwere Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre hat Hitler an die Macht gebracht. Die Demokratie in Deutschland ist heute gefestigt, dennoch zeigen die Debatten der damaligen Zeit, wie gefährlich die Furcht vor Inflation sein kann. Sie gehört zu den Konstanten der deutschen Wirtschaftspolitik – und sie ist in Zeiten einer Krise, die die Europäische Zentralbank (EZB) wie in diesen Tagen wieder zu außergewöhnlichen Maßnahmen zwingt, von erheblicher Bedeutung für die Zukunft des Kontinents. Jedenfalls ist die Inflation heute wie damals ein Dauerthema. Um ihr Erspartes in Sicherheit zu bringen, kaufen die Bundesbürger heute Gold und Immobilien, als gäbe es kein Morgen mehr, selbst feuchte Kellerlöcher gehen zu Höchstpreisen weg.

Dabei beruht diese Angst häufig auf einem unzureichenden Verständnis vom Wesen des Geldes: Wenn von der großen Geldschwemme der Notenbanken die Rede ist, dann ist dabei fast immer das Geld gemeint, dass von den Zentralbanken direkt in Umlauf gebracht wird. Es hat sich tatsächlich drastisch vermehrt. Die Zentralbankgeldmenge in der Euro-Zone belief sich im Januar 2008 auf 870 Milliarden Euro – im September 2012 waren es 1766 Milliarden Euro. Sie hat sich also innerhalb von vier Jahren mehr als verdoppelt.

Doch die Zentralbank schöpft nur einen Teil des Geldes. Die Geschäftsbanken sind die eigentlichen Geldproduzenten. Man kann das an einem einfachen Beispiel deutlich machen: Eine Bank gewährt einem Autohändler ein Darlehen über 1.000 Euro. Das Geld wird dem Girokonto des Autohändlers gutgeschrieben. Er kann sich damit zum Beispiel einen Computer kaufen. Der Clou: Das Geld, das der Autohändler von der Bank erhalten hat, wurde niemandem weggenommen. Keiner hat weniger Geld zur Verfügung, weil der Autohändler 1.000 Euro bekommen hat. Es ist Geld entstanden.

Die privaten Banken haben sich seit Ausbruch der Krise viel weniger Kredite vergeben als vorher. Im Jahr 2011 vergrößerte sich die Geldmenge M3, die das Geld der Banken mitberücksichtigt, jeden Monat im Schnitt um 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dagegen wuchs sie im Jahr 2007 – also bevor die EZB ihre Rettungsmaßnahmen einleitete – im Schnitt um kräftige 11,2 Prozent pro Monat. Es kommt also weniger und nicht mehr frisches Geld im Umlauf als früher.

Wichtig ist ohnehin nicht, wie viel Geld in der Welt ist, sondern was mit diesem Geld geschieht. Man stelle sich zur Erläuterung dieser These einen Obstmarkt vor. Eine Sorte Äpfel verkauft sich besonders gut, die Vorräte gehen aber zu Ende. Was wird wohl passieren? Die Antwort ist nicht schwer: Die Verkäufer werden den Preis anheben.

Interessant an dieser Prognose ist, dass sie getroffen werden kann, ohne etwas über die Geldmengen auf dem Markt zu wissen. Letztlich funktioniert eine Volkswirtschaft nämlich ähnlich wie ein Obstmarkt. Die Preise steigen, wenn das Angebot knapp ist und die Nachfrage hoch. Inflation droht, wenn in einer Volkswirtschaft dauerhaft mehr Waren und Dienstleistungen nachgefragt werden, als diese Volkswirtschaft mit ihren Arbeitnehmern zu produzieren vermag. Dann können die Arbeitnehmer höhere Löhne durchsetzen, es steigen die Kosten und damit auch die Preise.

Es ist ziemlich offensichtlich, warum, aus dieser Perspektive betrachtet, derzeit kaum Inflationsgefahr besteht. Halb Europa steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Zahl der Arbeitslosen steigt dramatisch. Die Auslastung der Produktionskapazitäten ist vielerorts auf dem niedrigsten Stand seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und das wird sich so schnell auch nicht ändern. Die Krisenländer müssen die Kreditexzesse der vergangenen Jahre abarbeiten, und das wird ihr Wachstum noch für viele Jahre bremsen. Und auch in Deutschland schwächt sich die Konjunktur derzeit wieder ab.

Das unterscheidet die Lage heute von der Situation in den zwanziger Jahren. Damals herrschte in Deutschland Vollbeschäftigung, die Löhne zogen an. Der stetig steigenden Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stand ein beschränktes Angebot gegenüber. Die Kriegswirtschaft musste erst auf die Produktion ziviler Investitions- und Konsumgüter umgestellt werden.

Es wäre also ein großer Fehler, wenn die Wirtschaft durch eine vorschnelle Straffung der Geldpolitik zusätzlich belastet würde, zumal die Notenbanken schnell reagieren können, wenn die Konjunktur anzieht. Sie kann Geld ebenso leicht vernichten, wie sie es schaffen kann.

Gewiss, in der Krise haben Notenbanken Aufgaben übernommen, für die sie nicht gemacht wurden. Damit wächst die Gefahr, dass sie in ihren Entscheidungen nicht mehr frei sind, weil sie unter politische Kontrolle geraten könnten. Doch in fast allen Ländern sind sich die Politiker darüber im Klaren, dass ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Notenbank weitreichende Folgen haben könnte. Und der wichtigste Kritikpunkt an der EZB, sie bewege sich durch ihre Anleihekäufe außerhalb ihres Mandats und übernehme Aufgaben, für die eigentlich die Finanzpolitik zuständig sei, ist ein demokratietheoretischer. Mit Inflation hat das nicht sehr viel zu tun.

Aber treibt das billige Geld nicht den Kurs von Aktien und anderen Wertpapieren? Zunächst einmal handelt es sich dabei nicht um Inflation; diese ist definiert als ein Anstieg des Güterpreisniveaus.
Ein Anstieg der Preise macht alle ärmer. Ein Anstieg der Aktienkurse macht zumindest die Aktienanleger reicher. Gefährlich wird es erst, wenn aus dem Boom an der Börse eine Blase wird. Es handelt sich also um unterschiedliche Phänomene, die unterschiedliche wirtschaftspolitische Reaktionen erfordern.

Die meisten Finanzblasen sind nicht darauf zurückzuführen, dass zu viel Geld in der Wirtschaft umläuft – sondern darauf, dass das vorhandene Geld falsch verteilt ist. So lief in den USA vor Ausbruch der Krise zwar der Immobilienmarkt heiß, die Investitionstätigkeit der Firmen aber war mau. Deshalb wäre es falsch, auf Finanzexzesse pauschal mit einer allgemeinen Geldverknappung zu reagieren. Denn die schadet auch dem gesunden Teil der Wirtschaft.

Viel sinnvoller wäre es, das Geld aus den sich überhitzenden Sektoren der Wirtschaft abzuziehen, damit es dorthin fließt, wo Mangel herrscht. Dazu müssen die Finanzinstitute beispielsweise dazu gezwungen werden, mehr Eigenkapital für Immobilienkredite vorzuhalten, wenn die Aufsichtsbehörden fürchten, dass sich auf dem Grundstücksmarkt eine Blase bildet. Denn auch Exzesse an den Finanzmärkten werden in der Regel nicht von der Notenbank, sondern durch eine übermäßige Kreditvergabe der privaten Banken finanziert.

Der Staat wird sich in Zukunft also viel stärker als früher in die Steuerung der Geldströme einmischen müssen. Er wird entscheiden müssen, in welchen Bereichen der Wirtschaft gerade genug Geld und Kredit vorhanden ist und in welchen zu wenig. Das klingt banal, kommt aber einer kleinen Revolution gleich. Der Kredit ist im Kapitalismus eine Art Lebenselixier. Wo er frisches Geld entstehen lässt, wird produziert und gearbeitet. Wo er versiegt, herrscht Stillstand.

Die größte Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität geht heutzutage nicht mehr von steigenden Güterpreisen aus, sondern von spekulativen Übertreibungen an den Finanzmärkten. Diese Übertreibungen in den Griff zu bekommen und dafür zu sorgen, dass das Geld auch dahin fließt, wo es produktiv verwendet wird – das sind die großen Herausforderungen für Regierungen und Zentralbanken. Nicht die Inflation.

Jedes Land hat seine Traumata. Das deutsche Trauma ist die Inflation. Das Plädoyer dafür, es zu überwinden, ist kein Plädoyer dafür, die Welt ohne Rücksicht auf Verluste mit Geld zu überschwemmen. Es ist ein Plädoyer für einen klaren, vorurteilsfreien Blick auf die Krise und die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten, sie zu überwinden.“