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Wie sich Sparer vor Deflation schützen können

 

Deflation wird bis auf Weiteres das Thema für alle seriösen und weniger seriösen Anlageberater sein, nachdem kaum noch jemand Angst hat vor der vielbeschworenen Inflation. Die EZB hat aus Sorge vor einem rückläufigen europäischen Preisniveau den Leitzins von 0,5 auf 0,25 Prozent gesenkt: Die Inflationsrate war im Oktober im Vorjahresvergleich auf 0,7 Prozent gefallen.

Bei Spiegel Online wird eine Langfriststudie der Credit Suisse und der London Business School zitiert, nach der „in Zeiten extremer Deflation … der Realertrag mit Anleihen im Schnitt 20 Prozent pro Jahr [betrug]. … Allerdings brachten auch Aktien in einem extrem deflationären Umfeld eine reale Rendite von im Schnitt elf Prozent pro Jahr.“ Die Halter von Gold hatten in solchen Zeiten eine Realrendite von zwölf Prozent pro Jahr erzielt. Ich staune: Am besten schütze ich mein Vermögen vor Deflation, indem ich einfach alles kaufe. Fehlen nur noch Immobilien in der Liste!

Zunächst ein paar Worte dazu, wie wahrscheinlich es ist, dass es tatsächlich zu einer Deflation kommt. Die Analysten der Investment Bank Barclays etwa schätzen, dass die aggregierte Inflationsrate der OECD-Länder von 1,3 Prozent im Jahr 2013 auf 1,7 Prozent im nächsten Jahr steigen wird. Sie läge damit in der Nähe des Werts, der für die meisten Notenbanken eine Zielmarke ist. Insgesamt wären die entwickelten Länder von einer Deflation weit entfernt. Für die Entwicklungs- und Schwellenländer gilt das ohnehin.

Hier die Inflationsraten der wichtigsten Volkswirtschaften according to Barclays: USA 1,5 Prozent im Jahr 2013, 1,8 Prozent im nächsten; Japan 0,3, gefolgt von 2,6 Prozent, Euroland 1,4, dann 1,0 Prozent; Deutschland bleibt konstant bei 1,6 Prozent. Ein fallendes Preisniveau wird von den Analysten 2014 nur in Griechenland (-1,4 Prozent) und Portugal (-0,1 Prozent) erwartet. Es sieht ein bisschen wie Zeitverschwendung aus, wenn sich Anleger auf ein deflationäres Umfeld vorbereiten. Andererseits sind Ökonomen bekanntlich nicht sehr treffsicher in ihren Prognosen. Sie sagen beispielsweise so gut wie nie voraus, dass sich die Wirtschaft im nächsten Jahr abschwächen wird. Typischerweise wird immer für die zweite Hälfte des Folgejahres ein Aufschwung in Aussicht gestellt – und damit auch ein Anstieg der Inflationsraten. Ich übertreibe nur wenig.

Für mich schließen die fundamentalen Faktoren, die vom Angebot und der Nachfrage her das Preisniveau Eurolands bestimmen, keineswegs die Möglichkeit einer Deflation aus. Eher bin ich überrascht, dass nicht schon längst Deflation herrscht. Zunächst eine kurze Analyse der Angebotsseite: Wie werden sich die Kosten der drei Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Einfuhren entwickeln?

1. Nach dem starken Anstieg der Aktienkurse – beim Euro Stoxx 50 waren es seit Jahresanfang 17 Prozent – und angesichts der anhaltend expansiven Geldpolitik, die für sich genommen weitere Kursgewinne zumindest nicht verhindern dürfte, werden die Kosten für Eigenkapital im Jahr 2014 im Durchschnitt niedriger sein als 2013 (hohe Kurse bedeuten, dass sich die Geldgeber mit niedrigen Renditen zufrieden geben). Das Gleiche gilt für Fremdkapital, also die Zinsen für die verschiedenen Laufzeiten. Ein Zinsanstieg ist nicht nur am kurzen, sondern auch am langen Ende ziemlich unwahrscheinlich. Anhaltend niedrige Inflationsraten dürften die Inflationserwartungen und damit die Renditen vermindern.

2. Die Kosten der Arbeit werden am besten durch die Lohnstückkosten abgebildet: Dafür muss ich abschätzen, wie sich die Stundenlöhne und die Produktivität entwickeln werden. Da die Arbeitslosenquote mit 12,2 Prozent sehr hoch ist, werden die Löhne 2014 um kaum mehr als 1,5 Prozent steigen. Andererseits wird für 2014 allgemein mit einem Anstieg des realen BIP von knapp über einem Prozent gerechnet. Dass die Anzahl der Arbeitsstunden mit einer solchen Rate zunimmt, ist unwahrscheinlich – sodass die Produktivität 2014 vielleicht um 0,5 bis ein Prozent zunehmen könnte. Mit anderen Worten: Die Kosten des Faktors Arbeit, die der größte gesamtwirtschaftliche Kostenblock sind, werden vermutlich steigen, wenn auch um weniger als ein Prozent.

Grafik: Arbeitslose und Arbeitslosenquote in Euroland

3. Die Einfuhrkosten dagegen werden fallen: Dafür sprechen der aufwertende Euro, das verhaltene Wachstum der Weltwirtschaft und der Rückgang der Rohstoffpreise. Zuletzt lagen sowohl die deutschen Einfuhrpreise als auch die von Euroland insgesamt um 2,7 Prozent unter ihrem Vorjahresniveau.

Insgesamt rechne ich daher 2014 für Euroland mit einem leichten Rückgang des Kostenniveaus, also deflationären Impulsen von dieser Seite.

Nach wie vor wird die Preisentwicklung dominiert von der großen Output-Lücke und der hohen Arbeitslosigkeit, die sich in einer schwachen Zunahme der Arbeitskosten niederschlägt.

Grafik: Bruttoinlandsprodukt und Outputlücke in der Währungsunion

Unternehmen sind angesichts dieser Lücke mehr als sonst bestrebt, ihre Kapazitäten besser auszulasten, vor allem durch niedrige und damit wettbewerbsfähige Preise. Die Grenzkosten sind sehr gering, sodass selbst bei Kampfpreisen allein die Zunahme der Produktion genügt, die Gewinnlage zu verbessern. Verkaufen um jeden Preis könnte die Devise sein. Die industriellen Erzeugerpreise liegen nicht zuletzt deswegen unter ihrem Vorjahresniveau.

Grafik: Verbraucher- und Erzeugerpreise in der Währungsunion

Und wie sieht es bei der Nachfrage aus? Die privaten Haushalte halten sich zurück, solange es so schwer ist, Arbeit zu finden. Auch die Unternehmen zögern, Geld in die Hand zu nehmen: trotz der niedrigen Zinsen und steigender Gewinne nehmen die Investitionen nicht so rasch zu wie in früheren Aufschwungphasen: Die Absatzerwartungen sind bescheiden, vor allem im Inland (also im Euro-Raum). Zudem verfolgen die meisten der 17 Regierungen eine restriktive Finanzpolitik, weil Haushaltskonsolidierung Vorrang hat vor stärkerem Wirtschaftswachstum. Ich kann daher auch nicht erkennen, auf welche Weise von der Nachfrageseite her Inflation entstehen könnte.

All das bedeutet, dass das Deflationsrisiko möglicherweise unterschätzt wird. Das Preisniveau muss nicht immer nur steigen, obwohl es in Westeuropa bis auf kurze Intermezzi seit dem zweiten Weltkrieg noch nie anders war. Es kann durchaus auch einmal für längere Zeit fallen.

Anleger sollten sich also nicht auf die gängigen Prognosen verlassen. Die Frage ist, wie sie sich positionieren sollten, wenn es tatsächlich zu einer „echten“ Deflation kommt.

An einem Zahlenbeispiel lässt sich am einfachsten zeigen, was Deflation für die verschiedenen Anlageklassen bedeutet. Nehmen wir an, die Verbraucherpreise würden 2014 gegenüber dem Durchschnitt von 2013 um fünf Prozent sinken. Was geschieht in dem Fall mit dem Realwert des Vermögens?

  • Wer Bargeld oder unverzinste Bankeinlagen hält, gewinnt real fünf Prozent. In einer Deflation gilt: Cash is king. Die Kaufkraft nimmt zu, und es gibt kein Kursrisiko.
  • Kaufe ich zehnjährige Bundesanleihen mit einer Rendite von heute 1,7 Prozent, ergibt sich ein realer Vermögenszuwachs von etwa sieben Prozent (1,017 / 0,95). Hinzu käme vermutlich ein Kursgewinn: Wenn die Rendite wegen der expansiven Geldpolitik und der unverändert niedrigen Leitzinsen von 1,7 etwa auf ein Prozent fallen sollten, macht das noch einmal etwa neun Prozent aus. Wenn das Renditeniveau so niedrig ist, kann es allerdings in späteren Jahren, wenn Inflation wieder ein Thema ist, zu beträchtlichen Kursverlusten kommen.
  • Aktien: Einige DAX-Werte haben auch heute noch Dividendenrenditen von 3,5 Prozent und mehr; unter der Annahme, dass die Dividende genau 3,5 Prozent beträgt und die Aktienkurse unverändert bleiben, ergibt sich eine reale Rendite von rund neun Prozent. Für den Anlageerfolg ist die Entwicklung der Aktienkurse allerdings wichtiger als die Dividende. Die Einkommensverteilung dürfte sich weiterhin zugunsten der Gewinne verschieben, weil die Löhne angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der Konkurrenz aus den Schwellenländern kaum steigen werden. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf der Basis der für 2013 erwarteten Gewinne pro Aktie liegt heute für den Euro Stoxx 50 bei 14,1, für den DAX bei 13,7. Das ist nicht billig, aber auch nicht so übertrieben teuer wie zu Zeiten von Aktienblasen. Amerikanische Aktien sind deutlich teurer (16,3 für den S&P 500). Weil die Bondrenditen wieder einmal so niedrig sind, suchen die Anleger attraktive Alternativen und kommen um Aktien nicht herum. Auf längere Sicht sind Aktien in Zeiten von Deflation nicht zu empfehlen: Die Verkaufspreise und normalerweise auch das Absatzvolumen der Unternehmen sinken. Selbst wenn die Kosten ebenfalls rückläufig sind, ist das kein Rezept für eine dynamische Entwicklung der Gewinne und Aktienkurse. Die Unternehmen sind zudem als Gruppe der bei Weitem größte Schuldner in einer Volkswirtschaft und werden in der Deflation daher durch die Zunahme der realen Schulden besonders hart getroffen. In Japan herrschte von 1998 bis 2012 einschließlich Deflation – in dieser Zeit hat der Aktienindex Nikkei 225 rund 34 Prozent verloren, also im Durchschnitt 3,7 Prozent pro Jahr. Deflation ist auf Dauer nicht gut für Aktien. Anleger sollten sich auf Unternehmen konzentrieren, deren Erträge in Regionen erwirtschaftet werden, wo voraussichtlich nicht mit Deflation zu rechnen ist.
  • Wie sieht es mit Immobilien aus? Sollte der Wert von Immobilien um fünf Prozent sinken (weil Mieten in Deflationsphasen zurückgehen), also so stark wie das allgemeine Preisniveau, würden Hausbesitzer real auf der Stelle treten. Immobilien sind ein Schutz gegen Vermögensverluste durch Inflation, nicht durch Deflation. Es fragt sich, ob Hauspreise in Deflationszeiten langsamer oder rascher sinken als das Niveau der Verbraucherpreise. In Japan waren sie viel stärker eingebrochen; es handelte sich um die Korrektur vormals völlig überteuerter Objekte. In Deutschland gab es glücklicherweise keine Blasen, sodass Anleger hierzulande in einer Deflation real vermutlich nichts verlieren dürften.
  • Gold? In einer Deflation sind die nominalen Zinsen stets so niedrig – nämlich nahe null –, dass es fast nichts kostet, Goldbestände mit Fremdmitteln zu finanzieren. Das stützt den Preis. Gold ist aber ein Sachwert und damit das Gegenteil dessen, was man in einer Deflation besitzen sollte. Ich kann mich nur für Gold als Absicherung für den Fall erwärmen, dass es doch noch, entgegen den Erwartungen, zu Inflation kommt, oder dass es durch die Deflation zu einem Zusammenbruch des Finanzsystems kommt. Anders ist nicht zu erklären, warum Gold in der bei Spiegel Online erwähnten Studie in Deflationszeiten real gewonnen hat.