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Das Problem Jugendarbeitslosigkeit lässt sich lösen

 

Im März lag die Arbeitslosenquote für 15- bis 24-Jährige nach der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in der EU bei 22,8 Prozent – das waren nicht weniger als 5,3 Millionen Personen. Die Quote ist mehr als doppelt so hoch wie die für 25- bis 64-jährigen Erwerbspersonen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass ein großer Teil derjenigen, die künftig das Sozialprodukt erwirtschaften und für die Rentner aufkommen müssen, dazu nicht in der Lage sein wird.

Im europäischen Wahlkampf ist dieser Tage das Thema Jugendarbeitslosigkeit ganz oben auf der Themenliste. Ursula Engelen-Kefer, die frühere Vize-Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB, gab ihrem neuen Buch sogar den Titel Eine verlorene Generation – setzte allerdings ein Fragezeichen dahinter, offenbar in der Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren sei. Erstaunlicherweise ist es in letzter Zeit kaum mehr zu großen Protestmärschen gekommen, weder in Spanien noch in Griechenland, wo die Arbeitslosenquoten der Jugendlichen jeweils bei über 50 Prozent liegen.

Grafik: Arbeitslosenquoten der Jugedlichen und Älteren in der EU

Quoten von mehr als 50 Prozent bedeuten allerdings nicht, dass in diesen Ländern über die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen zurzeit auf Jobsuche ist. Das wird manchmal so dargestellt. Nach den aktuellen Zahlen von Eurostat gibt es in der EU(28) 56,2 Millionen Menschen in dieser Altersspanne; davon stehen nur 23,6 Millionen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, die meisten der Übrigen befinden sich noch in der Schule oder an der Universität. Beschäftigt sind 18,2 Millionen Jugendliche, sodass rund 5,4 Millionen als arbeitslos gelten. Das ist eine erschreckend hohe Zahl, aber es handelt sich keineswegs um 22,8 Prozent der betreffenden Jahrgänge, sondern vielmehr um knapp 10 Prozent. Selbst in Griechenland und Spanien kommt man nach dieser Rechnung „nur“ auf 16 und 20 Prozent, keineswegs auf über 50 Prozent. Trotzdem ist klar, dass Handlungsbedarf besteht.

Grafik: Jugendarbeitslosenquoten in der EWU, 1995-201403

Wie immer in der Wirtschaftspolitik gibt es zwei Ansatzpunkte, einen mikroökonomischen/strukturellen, und einen makroökonomischen. Die Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht vom August 2013 im Wesentlichen alles gesagt, was sich auf strukturellem Gebiet tun muss (S. 23 – 28). Wie kaum anders zu erwarten, sind Strukturschwächen für sie die vorrangige Ursache für die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wenn es nicht so wäre, müsste sie sich ja für eine expansivere Finanz- und Geldpolitik einsetzen – das hat sie in ihrer langen Geschichte meines Wissens noch nie getan.

Die Liste der Bundesbank enthält die folgenden Empfehlungen:

  • Der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer sollte gelockert werden, damit auch die Jugendlichen eine Chance auf unbefristete Arbeitsverträge haben.
  • Die gesetzlichen und tariflichen Mindest- und Einstiegslöhne für Berufsanfänger sind vielfach zu hoch; die Entgeltabstufung sollte differenzierter sein, so wie in Deutschland.
  • Schulische Berufsausbildung ist oft zu praxisfern, es sollte eine größere Passgenauigkeit mit dem Bedarf des Arbeitsmarkts angestrebt werden.
  • Für Arbeit suchende Jugendliche, vor allem solche mit guter Ausbildung, sollte die zeitweise Migration nach Deutschland und einige andere Länder mit aufnahmebereiten Arbeitsmärkten gefördert werden, beispielsweise durch Sprachkurse.

Wie die Bundesbank zu Recht betont, ist auf kurze Sicht mit Strukturpolitik nicht viel zu bewegen. Finde ich auch. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten im November in Paris beschlossen, 45 Mrd. Euro für Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu mobilisieren, wobei ein größerer Teil über den Europäischen Sozialfonds (ESF) und die Europäische Investitionsbank (EIB) finanziert werden soll. Die Summe, die über zwei Jahre verteilt werden soll, reicht meiner Meinung nicht einmal für ein Strohfeuer – dafür aber für viele Gutachten, Konferenzen und anderen Aktionismus. Außerdem machen 22,5 Mrd. Euro pro Jahr noch nicht einmal 0,2 Prozent des Sozialprodukts der EU aus; das Geld wird dann außerdem an anderer Stelle fehlen. Strukturpolitik braucht einen langen Atem und erfordert sehr oft, dass liebgewonnene Ansprüche über Bord geworfen werden. Es geht um das Bohren dicker Bretter.

Wer raschere Erfolge sehen möchte, kommt daher um makroökonomische Maßnahmen nicht herum. Was ist falsch an einer expansiveren Finanzpolitik in den Ländern, die sie sich leisten könnten? Die Jugendarbeitslosigkeit steigt und fällt im Gleichschritt mit der normalen Arbeitslosigkeit, nur mit größeren Amplituden, und sie hängt von der Auslastung des Produktionspotenzials ab. Wenn es gelänge, die Beschäftigtenzahlen nennenswert zu steigern, verschwände die Jugendarbeitslosigkeit ziemlich rasch. In der Währungsunion geht es bislang noch darum, überhaupt mehr Jobs zu schaffen.

Ein Problem der europäischen und vor allem der deutschen Wirtschaftspolitik besteht darin, dass die Existenz von großen Outputlücken geleugnet wird. Nach dem neoliberalen Ansatz herrscht de facto immer nahezu Vollbeschäftigung, was dann im Umkehrschluss bedeutet, dass kein Platz ist für eine expansivere Finanzpolitik. Allerdings hat die Bundesbank selbst in ihrem Monatsbericht vom April bemerkenswerterweise dargestellt, wie sehr sich die Schätzungen der Produktionslücke im Zeitverlauf verändern und wie ungenau die Schätzungen der offiziellen Stellen vor allem am aktuellen Rand immer wieder waren. Ich fühle mich mit der Behauptung, dass wir auch in Deutschland über gewaltige ungenutzte Kapazitäten verfügen, seither weniger als Außenseiter. In der Währungsunion ist die Outputlücke sogar noch um einiges größer als hierzulande.

Finanzpolitik muss sich nicht darin erschöpfen, die Autoproduktion und den Straßenbau zu stimulieren oder die Renten stärker zu erhöhen. Es gibt eine Menge Projekte, mit denen sich gleichzeitig die Konjunktur stimulieren und die Wachstumsrate der Produktivität nachhaltig steigern lässt. Stichworte sind Forschung und Entwicklung, Energiewende oder Unternehmensgründungen. Für mich hat Deutschland im Staatshaushalt konjunkturbereinigt einen großen Überschuss. Gleiches gilt in geringerem Maße auch für den übrigen Euroraum. Das ist nicht situationsgerecht, denn es geht letztlich darum, die demografische Wende durch eine höhere Wachstumsrate des Produktionspotenzials abzufedern. Die Jugendarbeitslosigkeit würde gewissermaßen als Nebenprodukt einer expansiveren Finanzpolitik verschwinden.