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EZB auf einem gefährlichen Pfad – Eine Replik von Hans-Werner Sinn

 

Mark Schieritz hat am Dienstag hier im HERDENTRIEB argumentiert, dass die Aufregung über den Ankauf von sogenannten Asset Backed Securities (ABS) durch die Europäische Zentralbank übertrieben ist. Der Präsident der Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, erklärt in einer Replik, warum die EZB aus seiner Sicht einen gefährlichen Weg beschreitet.

Hier die Replik von Hans-Werner Sinn:

Lieber Herr Schieritz,

Sie werfen mir vor, ich hätte das Argument der Folgekosten der ABS-Käufe nachgeschoben. Das habe ich nicht. Zu der Abfolge immer neuer Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Rettungsschirme, die nötig sind, um eine Anschlussfinanzierung für frühere Kredite zu finden und Ausfälle zu vermeiden beziehungsweise weiter nach vorn zu schieben, habe ich mich bereits eingehend geäußert. Vergleichen Sie bitte Kapitel 8 meines Buches The Euro Trap. On Bursting Bubbles, Budgets and Beliefs, das im Sommer bei Oxford University Press herauskam. Die Kette der Nachfolgeentscheidungen zu analysieren, ist dort das zentrale Thema. Das Buch liegt Ihnen vor.

Das EZB-Direktorium befindet sich bereits seit Längerem in der Situation des Bankdirektors in einer Kleinstadt, dessen größter Firmenkunde Verluste macht und der sich überlegen muss, ob er diesem Kunden noch einmal Anschlusskredite zur Ablösung seiner Altkredite geben soll. Wenn er sich dagegen entscheidet, geht die Firma in Konkurs, und die Bank schreibt Verluste. Dann verliert der Bankdirektor seine Tantiemen, wenn nicht gar seinen Job. Wenn er sich hingegen für Anschlusskredite entscheidet, kann er die Abschreibungsverluste vielleicht noch bis zu seiner Pensionierung verschleiern. Der Nachfolger darf sich dann mit einem noch größeren Problem herumschlagen.

Kapitel 5 des Buches beschäftigt sich ausführlich mit der fortwährenden Ausweitung der Kredite aus den Druckerpressen der Notenbanken in den Krisenländern. Diese Kredite wurden gewährt, um die wegbrechenden privaten Kredite zu ersetzen, die die Banken aus dem Ausland bezogen hatten. Um den Krisenländern den Zugang zur Druckerpresse zu erleichtern, wurden die Standards für die Wertpapiere fortwährend gesenkt, die die Geschäftsbanken der EZB als Pfand zur Verfügung stellen müssen. Um diese Standards geht es auch heute, denn EZB-Präsident Mario Draghi hat auf der Pressekonferenz, an der auch Sie teilnahmen, erklärt, dass sich die nun geplanten Käufe des Bewertungssystems bedienen werden, das die EZB für ihre Pfänderpolitik entwickelt hat. Insofern ist das, was nun auf uns zukommt, bereits sehr gut erforscht.

Die Absenkung der Standards war in der Tat extrem. Musste vor der Krise ein Wertpapier noch die Rating-Anforderung von A- erfüllen, wurde sie im Oktober 2008 auf BBB- gesenkt. Das ist die letzte Qualitätsstufe, die noch zum sogenannten Investment Grade gehört. Darauf folgend sind die Anforderungen in Form einer Vielzahl von Einzelentscheidungen, die ich dokumentiere, sukzessive weiter gesenkt worden. Unter anderem wurde die Anforderung für Staatsanleihen und staatlich besicherte Papiere aus Griechenland (Mai 2010), Irland (April 2011), Portugal (Juli 2011) und Zypern (Mai 2013) unter BBB- gesenkt. Die nationalen Notenbanken konnten den Geschäftsbanken auch dann neue Kredite gewähren, wenn die Geschäftsbanken im Ausgleich Staatspapiere oder staatlich besicherte Wertpapiere anboten, die der Schrottkategorie angehörten.

Im Dezember 2011 wich die EZB darüber hinaus von dem Prinzip der im Eurosystem einheitlichen Pfänderanforderungen ab und gestattete den nationalen Zentralbanken die Kreditvergabe gegen Pfänder in Form nicht-marktfähiger Kreditforderungen nach eigenem Ermessen. Im Rahmen dieses sogenannten Additional Credit Claims Framework akzeptieren beispielsweise die zypriotische und die portugiesische Zentralbank Kreditforderungen als Pfand, die eine Ausfallwahrscheinlichkeit von bis zu 1,5 Prozent pro Jahr haben. Das bedeutet faktisch eine Pfandqualität unterhalb des Investment Grade, denn die Mindestanforderung von BBB- definiert die EZB ansonsten mit einer Ausfallwahrscheinlichkeit von bis zu 0,4 Prozent. Auch für ABS-Papiere wurde die Ratinganforderung wiederholt modifiziert und liegt seit Juni 2012 bei BBB-, also auf der untersten Stufe des Investment Grade.

All diese Maßnahmen sorgten dafür, dass immer größere Anteile der Bankaktiva zu einem zulässigen Pfand wurden. Sie erlaubten es den Südländern und Irland, sich das Geld zu drucken, das sie sich nicht mehr leihen konnten oder angesichts hoher Marktzinsen nicht mehr leihen wollten. Auf diese Weise haben die nationalen Notenbanken der sechs Krisenländer Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien und Zypern den lokalen Geschäftsbanken bis zum Sommer 2012 insgesamt eine Billionen Euro an Sonderkrediten zur Verfügung gestellt, die private Kredite ersetzten, die sie sonst über die internationalen Kapitalmärkte hätten beziehen müssen. Diese Kredite werden durch die sogenannten Target-Salden gemessen. Zypern hatte sich im Jahr 2012, vor dem Untergang seiner Banken, schnell noch ein halbes Sozialprodukt zusätzlich gedruckt, um seinen Banken die Möglichkeit zu geben, russische Oligarchen sowie Investoren aus Athen und London auszuzahlen und ihnen die Flucht zu ermöglichen.

Auch bei ihrem neuen Aufkaufprogramm wird die EZB mit etwas besseren Wertpapieren anfangen und sich bei deren Erschöpfung sukzessive zu schlechteren Kategorien vorantasten. Dieses Urteil folgt nicht, wie Mario Draghi meint, aus kontrafaktischen Vorurteilen, sondern aus einer eingehenden wissenschaftlichen Analyse dessen, was bereits geschehen ist.

Bemerkenswert ist, dass die EZB bei ihren Käufen bereits von Anfang an unter die Investment-Grade-Grenze gehen wird. Das folgt übrigens bereits aus der zweiten Textstelle, die Sie selbst zitieren. Da steht schwarz auf weiß, dass die Bonds von Griechenland und Zypern vom Minimum Ratings Requirement ausgenommen sind. Auch in der Tabelle, die auf der Pressekonferenz verteilt wurde, sehen Sie, dass man unter BBB- kaufen will. Ihr Text vermittelt dem Leser erstaunlicherweise einen anderen Eindruck.

Im Grunde ähnelt die EZB-Strategie dem, was bei jedem Konkurs geschieht. Da der Nachfolger des Bankdirektors keine Möglichkeit mehr sieht, die Kreditausfälle noch länger zu verschleiern, leitet er das Konkursverfahren ein und wird so zum Eigentümer der Aktiva des Schuldners. Der Schritt von der Kreditvergabe gegen immer schlechtere Pfänder hin zum Erwerb dieser Pfänder ist in seinem ökonomischen Kern ein implizites Konkursverfahren für die Banken Südeuropas.

Mit freundlichem Gruß
Hans-Werner Sinn