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Frankreich und das „diktat germanique“

 

In unserem kleinen Ferienort am Mittelmeer gibt es eine épicerie, einen Kramladen, und der führt genau vier Tageszeitungen, zwischen denen wir wählen können – le Monde, le Figaro und zwei Regionalblättchen: l’Indépendant und Midi libre. Heute war der konservative Figaro dran.

Im Leitartikel auf Seite 1 wird die „Rettung“ Griechenlands beschrieben, als handle es sich de facto um ein germanisches Diktat, um den Sieg der nordeuropäischen Buchhalter (comptables), die jetzt Griechenland „besitzen“ und dort das Sagen haben, auch wenn das den „Idealisten“ (!) des Südens nicht gefällt. Mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit und gemeinsamen europäischen Zielen sei es lange vorbei. Heute regierten die Gläubiger. Man solle sich keinen Illusionen hingeben: Es geht nicht mehr um Transfers von den reichen an die armen Länder, Solidarität bestünde heute darin, die Wirtschaftspolitik dem deutschen Vorbild anzupassen.

Ein Ausscheiden aus der Währungsunion wäre ein gefährlicher Präzedenzfall. Paris hatte in den Verhandlungen daher das Ziel vorgegeben, dass ein Grexit koste es was es wolle zu verhindern sei. Berlin und seine Verbündeten aber hatten bestimmt, was zu tun sei, damit das nicht passiert. Der Autor hält es offenbar für nicht unwahrscheinlich, dass Frankreich demnächst in eine ähnliche Schieflage geraten könnte wie Griechenland. Für ihn gehört sein Land zusammen mit Italien und Spanien, den anderen „Schwergewichten“, zur Gruppe der économies laxistes, wo Prinzipientreue ein Fremdwort ist und eine Fünf gerne mal gerade gelassen wird. „Wir sollten uns in acht nehmen – auch bei uns könnten die Gläubiger eines Tages die Wirtschaftspolitik bestimmen und uns eine restriktive Strategie aufzwingen.“

Solche Sätze sind ziemlich deprimierend für jemanden wie mich, der das europäische Projekt für eine tolle Sache hält. Es ist höchste Zeit, einmal darüber zu reden, wie es mit Europa weitergehen soll, denn die Währungsunion steht in ihrer jetzigen Form auf einem sehr wackligen Fundament. Das ist in den vergangenen Wochen sehr klar geworden. Vor allem die Politiker in den Gläubigerländern sind hier gefordert. Ich glaube, es wird sie kaum Stimmen kosten, wenn sie offen über die sogenannte Finalität der Europäischen Union reden. Am Ende brauchen wir eine Fiskalunion, und die erfordert den Willen zu einer politischen Union. Auch das Wort „Transferunion“ darf nicht tabuisiert werden – sie muss ja nicht automatisch teuer sein. Noch immer gilt das Bild von der EU als Fahrrad – wenn es stehenbleibt, fällt es um. Fortschritte im Einigungsprozess wären im Übrigen vermutlich das beste Rezept für Wachstum und Arbeitsplätze. Es fehlt nicht an finanzpolitischem Spielraum. Inflationsgefahren gibt es ohnehin nicht.