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Ein Wachstumsschub durch die Flüchtlinge?

 

Die Flüchtlingskrise ist in Deutschland bislang vor allem unter moralischen Gesichtspunkten diskutiert worden. Das war auch angemessen, schließlich geht es – zumindest in den meisten Fällen – um Menschen in Not. Wie aber im Blog Wirtschaftswurm richtigerweise angemerkt wurde, darf eine ökonomische Analyse der Sachlage nicht fehlen, denn am Ende setzen sich zumeist die ökonomischen Kräfte durch.

Ich will mich heute kurz mit den makroökonomischen Folgen des Flüchtlingsstroms beschäftigen. Aus dieser Perspektive hat ein Anstieg der Migration nach Deutschland einen Angebotseffekt und einen Nachfrageeffekt. Der Angebotseffekt rührt daher, dass das Angebot an Arbeitskräften zunimmt, der Nachfrageeffekt daher, dass mehr Menschen auch mehr Güter und Dienstleistungen verbrauchen.

Die meisten Flüchtlinge stehen dem Arbeitsmarkt zumindest kurzfristig nicht zur Verfügung, weil sie nicht arbeiten dürfen oder können. Deshalb dürfte der Angebotseffekt vorerst eher gering sein.

Kommen wir zur Nachfrage. Das BAMF rechnet bekanntlich mit 800.000 Asylanträgen, damit wurde eine vorherige Schätzung von 450.000 nach oben korrigiert. Das wären also 350.000 Flüchtlinge zusätzlich. Es gibt keine genauen Statistiken über die Kosten eines Flüchtlings, das Land Berlin rechnet mit rund 12.000 Euro pro Jahr für Unterkunft und Versorgung. Allerdings sind dabei – wenn ich es richtig verstehe – Sprachkurs und Sonderkosten etwa für die Betreuung von Minderjährigen noch nicht berücksichtigt, wofür ich hier einmal pauschal 2.000 Euro je Flüchtling veranschlage. Damit ergeben sich jährliche Mehrkosten von 4,9 Milliarden Euro. Das sind etwa 0,17 Prozent des nominalen jährlichen BIP (der Effekt dürfte sich auf die beiden Kalenderjahre 2015 und 2016 verteilen).

Nun stellt sich die Frage, wie diese staatlichen Zusatzausgaben finanziert werden. Nach meiner Einschätzung der Lage wird dafür derzeit nicht an anderer Stelle gekürzt, sondern es werden Haushaltsüberschüsse verwendet, die ansonsten der Schuldentilgung zugeführt worden wären. Wir haben es also mit einem klassischen Nachfrageimpuls zu tun.

Damit ist die Frage, inwieweit die zusätzlichen Staatsausgaben auch nachfragewirksam werden – welchen Wert also der Multiplikator annimmt. Bei der Nahrungsmittelversorgung dürfte das in jedem Fall gegeben sein, bei Neubauten und ähnlichem spielt wiederum der Auslastungsgrad im Baugewerbe beziehungsweise die Konsumneigung der Bauarbeiter eine Rolle. Ich gehe einfach einmal davon aus, dass jeder zusätzlich ausgegebene Euro das BIP um eben diesen Euro erhöht. Somit ergibt sich kurzfristig durch die zusätzlichen Flüchtlinge ein leicht positiver Wachstumseffekt von knapp 0,2 Prozentpunkten.

Die längerfristige Betrachtung ist komplizierter. Wenn – der eine Extremfall – die Flüchtlinge dem Arbeitsmarkt nie zur Verfügung stehen und nur staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, wird irgendwann eine volkswirtschaftliche Kapazitätsgrenze erreicht sein. Dann muss die einheimische Bevölkerung Verzicht üben, andernfalls erzeugt der Versuch, das Leistungsniveau durch Mehrausgaben aufrechtzuerhalten Inflation.

Wenn die Flüchtlinge – der andere Extremfall – voll in den Arbeitsmarkt integriert werden, dann wiederum kommt es darauf an, ob dadurch bestehende Engpässe am Arbeitsmarkt beseitigt werden können, sodass sich positive Angebotseffekte ergeben. Das dürfte derzeit in einzelnen Branchen durchaus der Fall sein.

Allerdings ist nicht alles, was gut ist für die Unternehmen, auch automatisch gut für die Wirtschaft insgesamt. Wenn zu viele Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt strömen – beziehungsweise die Löhne wegen des zusätzlichen Arbeitskräfteangebots nicht mit der Produktivitätsentwicklung Schritt halten – und keine angemessene Regulierung stattfindet, könnte es zu deflationären Effekten kommen. In der aktuellen konjunkturellen Lage ist das aber unwahrscheinlich.

Erstes Fazit: Kurzfristig ein leicht positiver Wachstumseffekt, die längerfristigen Folgen hängen stark von der Integrationsleistung ab. Ganz wichtig: Ich habe hier nichts über die Verteilungswirkungen gesagt. Dazu später mehr.